Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Der Atzventzkalender

Wuppertal · Das zentrale Dekorations- und Brauchtumselement der Vorweihnachtszeit wird in Wuppertal bekanntlich mit zwei „tz“ geschrieben: der Atzventzkalender.

Hinter jedem Türchen ...

Foto: Rundschau

Jahrzehntelang gab es überall den Klassiker, dessen Ausstattung so profan war wie seine Handhabung: Man musste jeden Tag morgens das Türchen mit der zum aktuellen Datum passenden Zahl öffnen und sich beim sofortigen Verzehr des dahinter verborgenen Stückchens Schokolade fragen, warum es nicht wenigstens Spuren von Kakao enthält. Am 24. Dezember war dieses Stückchen Schokolade doppelt so groß und schmeckte deshalb auch erheblich länger gar nicht. Damit war das Thema dann bis nächstes Jahr erledigt.

Mit so einem Standard-Atzventzkalender von früher um die Ecke zu kommen, führt einen inzwischen aber blitzschnell ins familiäre oder gesellschaftliche Abseits, denn auch im Segment des ritualisuerten Festtagscountdowns sind längst individuelle Kreationen gefragt. Kalender für die Liebsten werden daher gerne selbst gebastelt, was einen Aufwand auslöst, der den Weihnachtsstress bis in den September vorverlegen kann.

von Roderich Trapp

Foto: Max Höllwarth

Alternativ werden im Verwandtenkreis immer öfter kommerzielle Motto-Atzventzkalender verschenkt, die statt Schokolade je nach Empfänger Lego-Männchen oder Sexspielzeug enthalten. Man sollte daher möglichst darauf achten, die Familienmitglieder nicht zu verwechseln.

Wir haben dieses Jahr übrigens für einen Spirituosen-Kenner einen Atzventzkalender mit 24 ausgesuchten Whiskyfläschchen erworben. Der Glückliche ist derzeit immerhin gegen Nachmittag regelmäßig wieder arbeitsfähig.

Durch die hippen Modelle verlieren die Klassiker leider immer mehr an Akzeptanz. So musste ich am 1. Dezember im Büro beobachten, wie ein Kollege den ihm firmenseitig zugedachten und immerhin mit hochwertiger Markenschokolade bedachten Atzventzkalender mit ungeheurer Kaltschnäuzigkeit entweihte: Er riss alle 24 Türchen auf und deponierte ihren Inhalt in der Schreibtischschublade.

Begründung für sein Hinwegsetzen über alle in Stein gemeißelten Atzventzkalender-Regeln: „Ich lasse mir nicht vorschreiben, wann ich Lust habe, Schokolade zu essen.“ Zwei Tage später war die Schublade allerdings leergemampft. Früher nannte man sowas nicht Unabhängigkeit, sondern Gier ...

Bis die Tage!