Deshalb wird das auch nicht mit „ei“ wie bei „Seidenkleid“ ausgesprochen, sondern „Per-se-i-den“. Die Perseiden kommen jedes Jahr im August, wenn die Erde den Schweif eines Kometen kreuzt, der Swift-Tuttle heißt. Ehe Sie sich jetzt aufregen, dass die auf Erden unvermeidliche Taylor Swift uns auch noch im Weltraum lästig wird: Das Ding ist nach Lewis A. Swift und Horace Parnell Tuttle benannt, die den Himmelskörper 1862 unabhängig voneinander entdeckt haben und garantiert nicht mehr auf Tour gehen ...
Nun muss man allerdings wissen, dass die Perseiden am besten zwischen 2 und 4 Uhr nachts zu sehen sind. Und natürlich dann auch nur, wenn der Himmel wolkenlos ist, was bedeutet, dass Wuppertaler sie praktisch nie zu Gesicht bekommen. Außer diese Woche, weshalb ich die Chance unmittelbar ergriffen habe. Schließlich darf man sich ja bekanntlich was wünschen, wenn man eine Sternschnuppe sieht.
Auf dem Perseiden-Höhepunkt kommen von denen bis zu hundert pro Stunde runter, was natürlich großartige Möglichkeiten der aktiven Zukunftsgestaltung speziell für das ja alles andere als wunschlos glückliche Wuppertal eröffnet. Damit ich keinen der ungefähr 300 Punkte vergesse, hatte ich mir extra eine lange Liste gemacht, die ich Nacht für Nacht im Liegestuhl gen Himmel blickend abarbeitete.
Am Donnerstag muss ich dann allerdings gegen 3 Uhr morgens bei immer noch tropischen Temperaturen im Garten eingeschlafen sein und fand mich im Traum 2035 in meinem Wunsch-Wuppertal wieder. Ich war darin offensichtlich gerade mit einem auf die Minute pünktlichen IOT (Nachfolger der ICEs, die Abkürzung steht für „Intercity On Time“) im soeben als schönste Station Deutschlands ausgezeichneten Hauptbahnhof eingelaufen und zusammen mit zahlreichen Fans des FC Barcelona ausgestiegen. Sie freuten sich auf das Auswärtsspiel in der Handball-Champions-League beim Bergischen HC in der Circular-Valley-Arena an der Varresbeck, auch wenn ihr Team gegen den Deutschen Meister als krasser Außenseiter galt.
Einer von ihnen hatte mir im Zug erzählt, dass sie auf dem Weg zur natürlich ausverkauften Halle extra noch einen kleinen Umweg machen wollten, um einmal über die weltberühmte Hängebrücke zu laufen, von der man auch in Spanien seit Jahren ständig spreche.
Ich wünschte ihm „¡Que te diviertas!“ (sprich: „Viel Spaß!“), weil ich wie alle Wuppertaler dank der vielen internationalen Gäste in der touristisch florierenden Stadt längst mindestens vier Fremdsprachen fließend beherrschte, ehe ich ein menschliches Rühren verspürte. Wegen der enorm großen Auswahl an gepflegten und kostenfreien öffentlichen Toiletten konnte ich mich erst gar nicht entscheiden, auf welche ich gehen sollte.
Dann wählte ich die an der Promenade oberhalb des Strandes am renaturierten Wupperufer in Höhe der Schloßbleiche, weil ich sowieso über den seit Jahren autofreien und dank üppiger Begrünung zu einer Art Wuppertaler Rambla (Grüße nach Barcelona) gewordenen Wall Richtung Neumarkt gehen wollte. Dort stand eine Kundgebung von Oberbürgermeister Kottenströter auf dem Programm, dessen Bestätigung im Amt bei der anstehenden Kommunalwahl allerdings nur Formsache schien.
Seit seinem Erdrutschsieg vor fünf Jahren als unabhängiger Kandidat mit dem Slogan „Ich mach nich, wat die Politiker wollen, sondern was Vernüntiges“ hat er in der Bevölkerung Beliebtheitswerte wie Taylor Swift, die übrigens drei Tage nach dem BHC in der Circular-Valley-Arena auftreten sollte. (Die Frau ist offensichtlich auch mit 45 immer noch überall.)
Unvergessen geblieben war bei den Wählern Kottenströters ebenso flammende wie bodenständige Rede zur Eröffnung der Bundesgartenschau 2031 („Gut, datwor die Idee damals nich kompostiert haben“). Aus den Überschüssen der BUGA konnte dann auch die Finanzierung des Pina-Bauch-Zentrums gestemmt werden, das jetzt als Mittelpunkt der großen Kulturinsel an der Kluse Menschen aus aller Welt anlockt, die so tun, als würden sie die alten und die neuen Tanztheater-Stücke verstehen.
Vom Neumarkt aus fuhr ich später mit einem der überall verfügbaren E-Autos aus Wuppertals Schwarm-Mobilitäts-Flotte, die schon vor Jahren alle Park-Probleme löste, zum Nordpark und platzierte mich im Biergarten der unlängst doch noch eröffneten Nordpark-Terrassen mit einem frisch gezapften Pils aus dem breiten Sortiment der zum lokalen Marktführer gewordenen Barmer Brauerei Gesellschaft in einem Liegestuhl. Mir war irgendwie sehr warm, als ich spürte, wie jemand an meiner Schulter rüttelte. Es war meine Frau, die erstaunt fragte: „Hast du etwa die ganze Nacht im Garten gepennt?“
Verdutzt stellte ich fest, dass ich offensichtlich wieder wach und zurück in der lokalen Wirklichkeit war. „Ich habe dolle Wünsche für mein Wuppertal 2035 geträumt“, schwärmte ich ihr vor. „Super“, antwortete sie, „aber schreib bloß nicht drüber, denn Sternschnuppen-Wünsche gehen ja nicht in Erfüllung, wenn man jemand davon erzählt ...“
Mist, zu spät!
Bis die Tage!