Unser Nachbar hat das vorige Woche im Rahmen eines schonungslosen Selbsttests herausgefunden.
Dabei begann der Vorgang durchaus beseelt: Minutenlang lagen sich seine Frau und er vor Glück weinend in den Armen, nachdem man im Online-Buchungssystem doch noch einen Termin im Einwohnermeldeamt bekommen hatte, der berechtigten Anlass zu der Hoffnung gab, den auslaufenden Pass noch vor der geplanten Reise nach Mexiko im nächsten Jahr ersetzen zu können.
Nun ist zu diesem Behufe aber das besagte digitale Passfoto beizubringen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens: Man nimmt das Foto in einem der neuen Passbildautomaten auf, die zu diesem Zweck in vielen Meldeämtern pünktlich zum Start des Systems selbstverständlich noch nicht zur Verfügung standen. Auch in Wuppertal nicht, wie man vorbildlichen Hinweisen auf der Homepage der Stadt in der Rubrik „Services, die man schon immer mal nicht nutzen können wollte“ entnehmen konnte.
Deshalb blieb als Alternative nur zweitens – in Form des Gangs zu einem zertifizierten Fotogeschäft, das die Bilder aufnimmt und in die dafür vorgesehene bundesdeutsche Passbild-Cloud lädt.
Wie lange diese Geschäfte dank der Konjunkturmaßnahme in Form der neuen Automaten in den Ämtern noch existieren, weiß man zwar nicht. Aber weil der Bund ja von seinem eigenen Starttermin offensichtlich eiskalt erwischt wurde, sind die Dinger und dieses Problem ja noch gar nicht da, weshalb sich der Nachbar seinen Kappes in einem führenden Wuppertaler Studio für 24 Euro ablichten und in die Cloud schicken ließ. Zur Vorlage beim Amtstermin bekam er zudem einen Data-Matrix-Code.
Nun wissen wir aber seit den „Matrix“-Filmen, dass es mit der Matrix nicht so ganz einfach ist. Trotzdem war der Nachbar tendenziell irritiert, als er im steinalten Einwohnermeldeamt am Steinweg gerade im Wartebereich Platz genommen hatte und dann ein Mitarbeiter mit folgender Botschaft an alle Anwesenden aufwartete: Leider sei ein technisches Problem aufgetreten, so dass das Amt heute nur Fotos aus dem Drogeriemarkt dm herunterladen könne.
Alle, die ihre Fotos woanders machen ließen, bräuchten einen neuen Termin. Dem Nachbarn wurde in diesem Moment schlagartig klar, dass das Wort „Cloud“ auf Deutsch nicht zufällig „klaut“ ausgesprochen wird. Es liegt vielmehr daran, dass die Cloud gerne mal was klaut. Zum Beispiel Passfotos. Immerhin war dem Mitarbeiter aber die Suboptimalität dieser Situation durchaus klar, weshalb er den Betroffenen noch eine andere Möglichkeit aufzeigte: Sie könnten als eine Art Testlauf die inzwischen tatsächlich gelieferten und für eine Inbetriebnahme ab 1. Juli vorgesehenen neuen Fotoautomaten nutzen. Und das absolut kostenlos, weil die Bürger ja nichts falsch gemacht hätten.
Logisch, dass der Nachbar das Angebot annahm und ein Foto erstellen ließ, das sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm hatte, selbiges in die Datenwelt und dann sich selbst zum gebuchten Termin verbrachte.
Die dort parat sitzende Mitarbeiterin aus Fleisch und Blut erledigte das Amtsgeschäft sehr freundlich und schloss den Vorgang mit einem ebenso netten, aber bestimmten Satz ab: „Dann bekomme ich jetzt noch sechs Euro für das Foto von Ihnen.“
Das entsprach nicht ganz der vorher draußen getroffenen Gratis-Einladung, die sich offenbar nicht bis an die Front herumgesprochen hatte. „Weißt Du was davon?“, fragte sie also ihre Kollegin, die von dem Vorgang irgendwie gehört hatte. „Ach ja, hat er gesagt“, ließ sie wissen, was aber für Dame Nummer eins ein neues Problem aufwarf, wie sie dem Antragsteller betroffen mitteilte: „Ich kann das ohne Zahlung nicht einbuchen, das nimmt das System nicht an. Was soll ich denn jetzt machen?“ Aus Sicht des Nachbarn eine eher ungewöhnliche Frage, auf die es nur eine richtige Antwort gab: „Wieso fragen Sie mich das, ich arbeite doch nicht hier …“
Als sich schon abzeichnete, dass der Nachbar wohl mangels Ausweises nur virtuell nach Mexiko reisen können würde, half noch einmal eine Kollegin aus und zauberte ein Bemerkungsfeld hervor, in das man den Vorgang eingeben und den Antrag auch ohne Kohle auf den Weg bringen konnte. Ob aus ihm auch irgendwann ein gültiges Reisedokument wird, das den Weg aus der Cloud über die Bundesdruckerei zurück nach Wuppertal findet? Man darf gespannt sein – auch darauf, wer auf dem Foto im Pass ist.
Bis die Tage!