Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Ein lahmer Zock

Wuppertal · Menschen, die wie ich mehr als 40 Jahre am Stück Vereinssport mit Bällen aller Art betrieben haben, sind im März in tiefes Loch gefallen: Da möchte man sich am liebsten betrinken, bis man selbst so dicht ist wie die Hallen.

 Roderich Trapp.

Roderich Trapp.

Foto: Max Höllwarth

Mangels Mit- und Gegenspielern sowie verfügbarer Sportstätten droht man unmittelbar einzurosten. Ehe der innere Schweinhund zu einer riesigen inneren Eberdogge heranwachsen konnte, beging ich in letzter Sekunde eine Verzweiflungstat: Aerobic-Workout vor dem Fernseher!

Ältere Leser werden sich erinnern, dass sich Aerobic in den 80er Jahren dank Jane Fonda ähnlich wie Corona blitzartig rund um die Wet verbreitete. Die US-Schauspielerin trat damals Leggins-behost im Glitzer-Wams mit Stirnband und Stulpen einen Fitness-Trend los, dem ganz überwiegend Frauen folgten. Dabei muss man zu rhythmischer Musik den choreographischen Bemühungen einer Vortänzerin folgen, die erstens viel besser aussieht als ihre Schülerinnen und zweitens im Gegensatz zu denen vorher schon weiß, welche Bewegung als nächste kommt und sich deshalb im Gegensatz zur Kleingruppe hinter ihr nicht blamiert.

Von Männern wurden diese Übungen auf der Schnittstelle zwischen Saturday Night Fever und Turnvater Jahn milde belächelt. Einen arrivierten Mannschaftssportler wie mich in dieses Setting zu integrieren ist daher ungefähr so, als würde man einen Metzgermeister zum Frutarierkongress einladen. Was könnte also den Ernst der Corona-Lage besser zum Ausdruck bringen als die Tatsache, dass ich vorige Woche trotzdem zum allerersten Mal in Puma-Buxe und Trikot vor dem Fernseher stand und das aus dem Internet gefischte englischsprachige Gratis-Video mit dem 45-minütigen Aerobic-Grundkurs startete.

Meine Vorturnerin dabei heißt Leigh, kommt direkt aus einer amerikanischen Blondinen-Klonschmiede und ist  mager wie ein Truthahnfilet. „Nutzt ja allex nix“, denke ich bei mir und nehme diesen sportlichen Karrieretiefpunkt in der festen Überzeugung in Angriff, dass das bisschen hin- und herhöppen natürlich keine nennenswerte konditionelle Herausforderung darstellen kann.

Sehr wohl aber eine motorische: Wer sich sonst mit Bananenflanken oder Vorhandtopsins beschäftigt, kommt nämlich beim Nachmachen des ganzen Gezumpels mit komischen Namen wie March - Step - Squat - Grapevine - all the way round - Jack - Tap und Furz und Feuerstein ziemlich schnell komplett durcheinander. Früher hieß sowas Kniebeuge oder Schlusssprung und wurde geruhsam und in aller Stille nacheinander durchgeführt. Leigh macht dagegen alles gleichzeitig und durcheinander und immer schneller, wobei sich die Arme grundsätzlich in andere Richtungen bewegen als die Beine. Dieser Vorgang ist in der männlichen Genetik aus sehr vernüftigen Gründen gar nicht angelegt worden, was jetzt dazu führt, dass ich wie ein außer Kontrolle geratener Brummkreisel über das Wohnzimmerparkett dillere.

Nach zehn Minuten ist bereits der Punkt erreicht, wo beim Handball immer die Mädchen mit den Wischmopps auf Feld laufen, um die Schweißpfützen wegzumachen. Unser Nachbar linst ungläubig durch das Fenster und sieht, wie ich bei einer zu ausladend ausgefallenen Vorwärts-Rück-Rück-Vor-Schrittkombination über das beiseite geräumte Sofa falle. Insofern spielt mir der Wechsel in die Bodenlage, den Leigh nach 30 Minuten befiehlt, durchaus in die Karten.

Auf der Yogamatte meiner Frau komme ich zum Erliegen und sehe erstaunt, wie Leigh Gliedmaßen aller Art in Stellungen bringt, die man sonst nur aus dem Circus Roncalli kennt. Während sie sich spielerisch leicht an den Füßchen kitzelt, sind bei mir Zehen und Arme so weit auseinander wie Arbeitgeber und Gewerkschaften bei der ersten Tarifrunde. Und dann betuppt das Biest auch noch beim Herunterzählen der Bauchmuskelübungen: „Five - four - three - two - four - three - two - one“ flötet sie und guckt hämisch grinsend in Richtung des sich verzweifelt aufkrüppenden Klumpens Fleisch zu ihren Füßen, der bei jedem weiteren Klappmesser damit rechnen muss, dass sich das Bütterken vom Frühstück auf dem Rückweg durch den Körper macht.

Am nächsten Morgen komme ich aus eigener Kraft nicht mehr aus dem Bett und habe Schmerzen in Msukeln, von deren Existenz ich noch gar nichts wusste. Den Hörer kann ich nur mühsam mit beiden Händen zum Ohr führen, als das Telefon klingelt. Ein Teamkollege ist dran. „Wie isset?“, fragt er. „Ich sage: „Muss, woll. Hab‘ gestern Aerobic gemacht. War aber ein lahmer Zock ...“

Bis die Tage!

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