Kommentar: Corona und die Zeit danach Bitte belehren Sie mich eines Besseren!

Wuppertal · „Eine Rückkehr in die alte Normalität wird es nach der Krise nicht mehr geben“, sagte der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh vergangene Woche im Rundschau-Interview mit Blick auf das Sozialsystem. Die Welt, ist vielerorts zu hören, werde sich nun unabänderlich ändern. Wirklich? Ich habe da leider meine Zweifel.

 Jörn Koldehoff

Jörn Koldehoff

Foto: Max Höllwarth

Vorweg: Es ist beeindruckend und toll zu sehen, wie groß momentan der Zusammenhalt ist. Satte 93 Prozent der Befragten halten laut „ARD DeutschlandTrend“ das Kontaktverbot für richtig, die meisten halten sich auch daran. Probleme wie an sonnigen Tagen auf der Trasse sind logisch – wenn viele Menschen allein oder zu zweit auf der Suche nach Erholung und Abwechslung unterwegs sind, wird es eben eine Menge.

Dennoch: Die zahllosen ehrenamtlichen Initiativen, der insgesamt sehr freundliche Umgangston – was für ein Unterschied noch zu der Phase vor einem Monat, als die Dauernörgler (damit sind nicht die zu Recht Kritik Übenden gemeint) die Hoheit über die sozialen Medien hatten, weil sich die Besonnenen längst genervt oder frustriert zurückgezogen hatten. Oder sich unverständlicherweise vor allem diejenigen, denen es eigentlich recht gut geht, davon anstecken ließen.

Als sich ein Herr neulich im Supermarkt an der Kasse ärgerte, dass wieder kein Toilettenpapier zu haben war, entgegnete ihm eine ältere Dame freundlich: „In anderen Teilen der Welt haben die Menschen nichts zu essen, wir haben auch jetzt noch großen Überfluss!“ Die Einsicht, wieder bei lokalen Unternehmen einzukaufen, auch weil da viele Arbeitsplätze dranhängen, kommt sehr spät (siehe Leerstand in den Innenstädten), aber sie ist nun da.

Es gibt so viele Aspekte, die zeigen, was geht, wenn man wirklich will. Ein Beispiel: Wie schnell haben viele Firmen auf einmal Heimarbeitsplätze eingerichtet – mit der Folge, dass die viel Lebensqualität raubenden Dauerstaus auf den Autobahnen fast weg sind. Dass das nicht immer möglich sein wird, ist klar. Doch ein, zwei Homeoffice-Tage pro Woche mehr würden für eine deutliche Entlastung sorgen. Dass daheim nicht effektiv gearbeitet wird, ist eine Legende. Das Gegenteil ist der Fall.

Und natürlich ist die Forderung nach einer besseren Bezahlung der „systemrelevanten Berufe“ absolut gerechtfertigt. Voraussetzung ist dazu ist jedoch ein breiter gesellschaftlicher Konsens, für gute Arbeit und Ware mehr auszugeben, gleichzeitig aber dann auch Hilfsbedürftige, die sich das nicht leisten können, entsprechend zu unterstützen. Wie Hohn mutet da das Dauergeheule nicht nur der Fußball-Proficlubs an, während andere um ihre Existenz kämpfen. Ein gut gemeinter, kostenloser Rat: Einfach mal das Rad zurückdrehen und nicht mehr bis zu 200 Millionen an Ablöse zahlen. Ein Zehntel davon ist immer noch eine unglaubliche Menge.

Die Welt hat einen mächtigen Schuss vor den Bug bekommen – von einer hyperüberdrehten Gesellschaft mit einem sekündlichen Facebook- und WhatsApp-Nachrichtenfluss zu einer, die sich momentan auf die wichtigen Werte besinnt. Doch bleibt es so, wenn alles vorbei ist, die Systeme wieder hochgefahren werden und der Schaden aufzuholen versucht wird?

Ich glaube seit Robert Enke nicht mehr daran. Als sich der Ex-Nationaltorwart 2009 depressiv das Leben nahm, war die kollektive Anteilnahme groß. Wenige Wochen später geriet alles in Vergessenheit, der Hass ist längst in die Stadien zurückgekehrt. Und diesmal? Ich lasse mich allzu gerne eines Besseren belehren.

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