Kommentar zum Auftaktabend fürs Wuppertaler Engels-Jahr 2020 Draußen cool, drinnen klassisch

Wuppertal · Jetzt kann‘s losgehen. Am Samstagabend fiel im und ums Opernhaus herum der offizielle Startschuss für das Wuppertaler Engels-Jahr. Draußen am Gebäude, auf dem Vorplatz und im benachbarten Engelsgarten begeisterten optisch und akustisch bemerkenswerte Licht- und Elektrosound-Installationen viele Menschen, die auch noch am späten Abend vor Ort waren, um das zu erleben. Cool! Lerneffekt: Wuppertal braucht viel mehr Illuminationen, Farbe auf Fassaden, zeitgemäßes „Bespielen“ von Flächen und Plätzen.

 „Engels lebt! Ja – in seinem Namen ist viel Böses geschehen. OB Mucke erwähnte die DDR und die UdSSR. China nicht. Weil der Generalkonsul im Opernhaus war? Aber der Kampf für (Verteilungs-)Gerechtigkeit und Menschenrechte, für gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen, also letztlich für die Demokratie und gegen ihre Feinde (ob braun oder blau lackierte), ist und bleibt top-aktuell.“

„Engels lebt! Ja – in seinem Namen ist viel Böses geschehen. OB Mucke erwähnte die DDR und die UdSSR. China nicht. Weil der Generalkonsul im Opernhaus war? Aber der Kampf für (Verteilungs-)Gerechtigkeit und Menschenrechte, für gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen, also letztlich für die Demokratie und gegen ihre Feinde (ob braun oder blau lackierte), ist und bleibt top-aktuell.“

Foto: Bettina Osswald

Drinnen im bis unters Dach gefüllten Opernhaus erlebten geladene und „normale“ Gäste gemeinsam ein schwerpunktmäßig klassisch orientiertes Festprogramm auf musikalisch, gesanglich und schauspielerisch sehr gutem Niveau, das etwas weniger Bildungsbürgerlichkeit vertragen hätte. Professionell moderiert das Ganze von der bestens aufgelegten NDR-TV-Frau Bettina Tietjen, die aus Wuppertal stammt – und sich die im 21. Jahrhundert arg altbacken gewordene Platitüde von der Rivalität zwischen Elberfeldern und Barmen ein oder zwei Mal auch hätte sparen können. Lerneffekt: Wuppertal kann verzichten auf zu viele olle Kamellen.

Was bleibt besonders im Gedächtnis von diesem Abend? Die vom Sinfonieorchester unter der Leitung von Johannes Pell spektakulär gespielte futuristisch-atonale „Eisengießerei“ des russischen 20er-Jahre-Komponisten Alexander Mossolow. Welch ein Kontrast zum gefühlsbetont gesungenen „Loreley“-Lied aus der Feder des Engels-Freundes Heinrich Heine: Glückwunsch an den vielköpfigen Projekt- und Jugendchor der Wuppertaler Bühnen! Lerneffekt: Wuppertal kann gute Gegensätze.

Dann unser Schauspiel-Ensemble: Engels‘ auch heute noch topaktuelle „Elberfelder Rede“ fesselnd und witzig präsentiert von Julia Wolff, Philippine Pachl und Julia Meier (inklusive Bravo-Rufen aus dem Publikum bei der von 1845 (!) stammenden Forderung nach korrekter Kapitalertragsbesteuerung), ein gnadenlos gut performtes Marx-Engels-Briefe-Duett von Stefan Walz und Thomas Braus – sowie Martin Petschan, der einen im besten Sinn brutalen (neo-)liberalismuskritischen Text des aktuellen Autors Dietmar Dath in seiner ganzen eiskalten Ehrlichkeit auftischte.

Nicht zu vergessen: Mit einem leise beginnenden und dann sich steigernden Arbeiterlieder-Medley lieferte das Theater-Ensemble Gänsehaut bei denen, deren Herz nicht nur medizinisch gesehen links schlägt, und bei den anderen eventuell die Überraschung, dass „Ciao, bella, ciao“ keine Italo-Urlaubsschnulze ist, sondern ein politisches Partisanenlied. Lerneffekt: Unsere in schwieriges Finanzierungsfahrwasser geratenen Bühnen haben‘s (in allen drei Sparten) drauf – und sie werden gebraucht. Oberbürgermeister Andreas Mucke gab zu Beginn des Abends denn auch auch eine öffentliche Bestandsgarantie ab – und erhielt dafür viel Applaus.

Was zu mäkeln an der Auftaktveranstaltung? Das Ganze hätte einen Schuss Hip-Hop & Co. gebraucht. Ein Beispiel: Ohne die Leistung von Iris Marie Sojer und Heiko Trinsinger aus dem Opernensemble auch nur im Mindesten schmälern zu wollen, ist die Vorstellung verlockend, was Rapper Horst Wegener und Jazz/RnB-Sängerin Maria Basel aus dem Brecht/Eisler-Song „Das Lied vom Klassenfeind“ gemacht hätten…

Fazit: Engels lebt! Ja – in seinem Namen ist viel Böses geschehen. OB Mucke erwähnte die DDR und die UdSSR. China nicht. Weil der Generalkonsul im Opernhaus war? Aber der Kampf für (Verteilungs-)Gerechtigkeit und Menschenrechte, für gleichwertige Arbeits- und Lebensbedingungen, also letztlich für die Demokratie und gegen ihre Feinde (ob braun oder blau lackierte), ist und bleibt top-aktuell. Überall.

Ein Wort zum Schluss: Auch die Initiative „Heraus zum autonomen 1. Mai“ war kurz präsent im Opernhaus – laut, schräg, mit polizei-, justiz- und politikkritischer Flugblattwurf-Aktion. Aber friedlich. Lerneffekt: Wenn Wuppertal auf seine toleranten Stärken setzt, funktioniert die Begegnung unterschiedlicher Meinungen.

Wenn das unter dem Label des lebenslustigen, wortgewaltigen Unternehmersohnes, der sich der Arbeiterbefreiung verschrieb, in Zukunft noch besser klappt, dann wird das ein gutes Engels-Jahr. Mit vielen Lerneffekten.

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