Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Das explizit Ungesagte

Wuppertal · Selten dürfte man so froh gewesen sein, dass sich ein Monat dem Ende zuneigt. Der Mai war eine Mischung aus ungewöhnlich nassem November und bundesweitem Windkanalversuch. Lokale Verkühlung statt globaler Erwärmung hat viele Menschen übellaunig gemacht. Zumal ja auch noch Ausgangssperre war, die uns allerdings nicht ganz so hart getroffen hat, weil im Prinzip sowieso nicht mal mehr Haustiere vor die Tür wollten.

 Roderich Trapp.

Roderich Trapp.

Foto: Max Höllwarth

In so schweren Zeiten bewährt es sich ganz besonders, dass Wuppertaler schon seit Jahrhunderten solche misslichen Gesamtsituationen gewöhnt sind und ihr Wortschatz daher einige ideale Floskeln zur Zusammenfassung derselben bereit hält.

Schon vor mehr als zehn Jahren hatte ich dieses Thema in einem kleinen Beitrag über den typischen Wuppertaler Rumpfdialog gestreift. Er fängt bekanntlich mit der Frage „Wie isset?“ an, auf die der durchschnittliche Ureinwohner in aller Regel mit dem universell gültigen „Muss, woll!“ antwortet. In Corona-Zeiten bewährt sich aber eine andere, etwas ausführlichere Antwort-Variante, die statt in zwei nunmehr in drei Worten das triste tägliche Pandemie-Einerlei zwischen Homeoffice, Homeschooling und Hörnchenkrieging auf den Punkt bringt: „Wie isset?“ - „Wir sollet sein?“

Das ist eine absolut zeitgemäße Reaktion auf die Befindlichkeitsfrage, weil ja im Prinzip jeder genau weiß, dass es offensichtlich nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte, und es beim Gegenüber auch nicht großartig anders sein wird als bei einem selbst.

Deshalb kann man auf die Gegenfrage „Wie sollet sein?“ auch im Prinzip gar nichts Vernünftiges mehr antworten. Außer man ist Wuppertaler. Denn dank unserer großen Erfahrung mit suboptimalen Lebenssituationen („Wie isset so ohne Schwebebahn?“ - „Wie sollet sein?“) haben wir auch für diese Situation eine ideale Floskel entwickelt: „Wie isset? - „Wie sollet sein?“ - „Et iss wie et iss!“ hält die Konversation elegant in Gang und drückt aus, dass man die beschissene Situation des anderen zwar gar nicht konkret kennt, sich aber sehr gut in sie hineinversetzen kann.

Damit bringt man den Gesprächspartner unmittelbar wieder in Zugzwang. Ein schwieriger Fall, für den die Wuppertaler Floskelkiste aber ebenfalls vorgesorgt hat: „Wie isset? - „Wie sollet sein?“ - „Et iss wie et iss! „ - „Kannze nix machen ...“ treibt die Beschreibung einer zutiefst unbefriedigenden Situation auf einen neuen Höhepunkt, ohne dass einer von beiden Gesprächsteilnehmern überhaupt weiß, wovon man spricht.

Es handelt sich dabei um die Wuppertaler Kommunikationskunstform des explizit Ungesagten, mit der man auf völlige unverbindliche Art Interesse am anderen signalisieren kann, obwohl jeder im Prinzip ganz genauso weiter alleine vor sich hin pröttelt wie vorher. Abschließend werden sich beide Parteien dann auf diesen einen Satz verständigen, mit dem ein absolut angemessener Endpunkt unter einen Rumpfdialog 2.0 gesetzt wird, der sich dann etwas ausgeschmückt so anhört: „Wie isset? - „Wie soll et sein?“ - „Et iss wie et iss, woll!“„ - „Jo, kannze nix machen ...“ - „Man musset nehmen, wie et kommt!“

Mit „Man musset nehmen, wie et kommt“ wird der Blick vom tristen Jetzt aus in die Zukunft gerichtet. Es ist eine gelungene Mischung aus endemischem Fatalismus und vorsichtiger Zuversicht, weil sich total beschissene Situationen ja wohl kaum noch verschlechtern können.

Mit diesem leichtfüßigen Frage-Antwort-Spiel sind die Wuppertaler praktisch jeder Lebenssituation rhetorisch absolut gewachsen. Probieren Sie es mal aus: Der Dialog funktioniert nach dem unvermeidlichen Vorrunden-Aus der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-EM genauso wie am Tag nach der Wahl von Bundeskanzlerchen Laschet oder für den Fall, dass die Inzidenz wieder schneller steigt als die Spritpreise.

Als unser Oberbürgermeister im früheren Leben noch Zeit hatte, hat er mal ein 528 Seiten dickes Buch über „Zukunftskunst“ geschrieben, weil er es eben nicht nehmen will, wie es gerade kommt. Möglicherweise fragen Sie ihn in ein paar Jahren mal, ob das funktioniert hat und wie et so iss. Für den Fall, dass Wuppertal dann immer noch eher trübsinnig als nachhaltig ist, weiß er jetzt wenigstens die Antwort: „Kannze nix machen!“

Bis die Tage!

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