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Nach Toreschluss - die Wochenendsatire: Begrüßungsformeln

Nach Toreschluss - die Wochenendsatire : Begrüßungsformeln

Normalerweise begrüße ich Sie an dieser Stelle nicht separat zum heutigen Beitrag. Sollte ich aber doch mal auf die Idee kommen, wird es kompliziert.

Denn auch ich möchte selbstverständlich niemanden geschlechtlich ausgrenzen und müsste mir also sehr gut überlegen, wie ich Sie anrede. Zu dieser Frage gibt es inzwischen ähnlich viel Sekundärliteratur wie zu Goethes „Faust“, aber trotzdem bleibt die Lage kompliziert.

„Sehr geehrte Leserinnen und Leser“ geht natürlich gar nicht mehr, weil wir ja inzwischen zum Glück begriffen haben, dass zwischen Männlein und Weiblein mehr liegt als nur Spannung in der Luft. Leider bringe ich es aber immer noch nicht fertig, diesen Umstand durch Hilfskonstruktionen wie „Sehr geehrte Leser_innen“ oder „Sehr geehrte Leser*innen“ auszudrücken, weil ich ja auch niemanden ausgrenzen möchte, der die Rundschau nicht nur innen, sondern auch außen liest. „Sehr geehrte Lesende“ würde formal wahrscheinlich auch passen, ist aber das hölzernste, was ich seit der Antrittsrede von Kanzler Olaf Scholz gehört habe.

Apropos hölzern: „Sehr geehrte“ ist sowieso out, weil es sich eher altmodisch und unpersönlich anhört. Ich möchte Sie eigentlich auch nicht mit der gleichen Anrede begrüßen, die traditionell über Mahnungen, Knöllchen oder Kündigungsschreiben steht. Manche Ratgeber empfehlen daher Varianten, die etwas lockerer und gleichzeitig geschlechtsneutral sind, weshalb man mit ihnen angeblich nichts falsch macht. Demnach könnte ich zum Beispiel schreiben: „Liebe alle, ich begrüße Sie zur heutigen Kolumne.“ Das hört sich allerdings so an, als wäre wahlweise die Anrede selbst schon Satire oder bei mir nicht mehr genug Liebe vorhanden.

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Auch nicht wirklich helfen konnte mir die Internet-Seite „sekretaria.de“. Dabei handelt es sich um das „Portal für Assistentinnen und Sekretärinnen“, das selbst offensichtlich noch nichts über die Existenz von Sekretären oder Assistenten gehört hat. Es empfiehlt zum Thema geschlechtsneutrale Anreden abschließend: „Werden Sie ruhig ein bisschen kreativ! Das ist ja das Schöne, wenn es noch keine etablierten Regeln gibt: Sie haben die Freiheit, verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren. Haben Sie weitere Ideen für Anredeformen, die Intersexuelle nicht diskriminieren? Wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge.“

Das habe ich mir zu Herzen genommen, bin tief in mich gegangen und habe dort eine Begrüßungs-Lösung gefunden, die aus der Mitte des rustikal-herzlichen Wuppertaler Sprachgebrauchs kommt und wirklich alle Kriterien erfüllt, obwohl sie eigentlich schon uralt sein dürfte. Und diese großartige Anrede lautet: „Tach, ihr Fötte“.

Sie werden unmittelbar die integrierende Kraft dieser Grußformel erkennen: Durch die geschickte Wahl der Hinterteile als verbindendes Merkmal der angesprochenen Gruppe werden die Geschlechtergrenzen komplett neutralisiert, weil ja jeder, jede und jedes völlig ungeachtet aller anderen Umstände auf jeden Fall eine Fott hat. Die Bezeichnung „ihr Fötte“ ist damit absolut gendergerecht und zugleich auch noch identitätsstiftend, weil sie Heimatbezug herstellt, ohne sich plump anzubiedern oder folkloristisch-überholt zu wirken.

Kongenial ist dabei die Verbindung mit der rustikal-herzlichen Grußformel „Tach“, die nichts beschönigt und doch zum Ausdruck bringt, dass man sich der angesprochenen Gruppe verbunden fühlt. Sei es auch nur in der Erkenntnis, dass gute Tage zu wünschen wegen der relativ geringen Erfolgsaussichten in dieser Zeit unsinnig wäre.

„Tach, ihr Fötte“ tänzelt außerdem mit fast spielerischer Leichtigkeit auf dem schmalen Grat zwischen zu plumper Vertraulichkeit und übertriebener Förmlichkeit und ist damit wirklich universell verwendbar. Ich kann zwar nicht völlig ausschließen, dass Menschen ohne Wuppertaler Sprachsozialisation im ersten Moment etwas irritiert sein könnten, wenn man sie so begrüßt. Aber sollte der Oberbürgermeister zum Beispiel mal eine hochrangige Delegation aus Hamburg mit einem herzhaften „Tach, ihr Fötte!“ im Rathaus empfangen, dann hätte man gleich ein schönes Gesprächsthema.

In der Hansestadt haben sie das Problem schließlich mit dem stadtweit etablierten und ebenfalls absolut geschlechtsneutralen „Moin, Moin!“ schon zu einer Zeit gelöst, in der die meisten Menschen Gendern wahrscheinlich noch für eine Stadt in Holland gehalten hätten ...

Bis die Tage!