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Nach Toreschluss - die Wochenendsatire: Nein zum Narrativ

Nach Toreschluss - die Wochenendsatire : Nein zum Narrativ

„Über ein kaleidoskopisches Narrativ, geprägt von sehr sinnlichen und hochenergetischen Tänzen, lotet Behr gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern Zonen des Übergangs aus, oszillierend zwischen Wahrnehmungen einer von apokalyptischen Szenarien bedrohten Welt und zukunftsweisenden Sehnsüchten.“

Bei dieser schillernden Zusammenfassung fallen mir zwei Dinge auf: Erstens habe ich kein Wort verstanden. Und zweitens begegnet uns hier eines der schlimmsten Modewörter des Jahrzehnts: das „Narrativ“!

Das Narrativ hat sich ähnlich wie Corona epidemisch in Deutschland verbreitet und schwerpunktmäßig Gäste in TV-Talkshows befallen. Selbige diskutieren ja in der Regel unter dem Motto: „Ich habe keine eigene Meinung, bin aber auf jeden Fall nicht Ihrer.“ Das ist so fruchtlos, dass sie wenigstens den Vortrag möglichst wichtigtuerisch gestalten müssen. Dazu wird an geeigneter Stelle das Wort „Narrativ“ eingebaut, um zu dokumentieren, dass man sich intellektuell deutlich über dem Niveau durchschnittlicher Fernsehzuschauer wie uns bewegt. Von denen weiß nämlich kein Mensch, was ein Narrativ eigentlich sein soll.

Im Wesentlichen ist nur bekannt, dass es sich bei Narrativ nicht um einen Kollegen von Dativ und Akkusativ und wohl auch nicht um einen vergessenen Karnevalsbrauch handelt. Bis vor kurzem stand Narrativ als Substantiv noch nicht einmal im Duden, taucht da aber neuerdings als „sinnstiftende Erzählung“ auf. Eine belämmerte Definition, weil Erzählungen ja grundsätzlich Sinn stiften, sonst wären sie keine Erzählung, sondern Quatsch. Und was ich hier erzähle, kann auch kein Narrativ sein, denn es stiftet ja eher Unsinn. Auch im Internet stößt man darauf, dass letztlich keiner wirklich erklären kann, was ein „Narrativ“ ist. Damit ist das Wort völlig überflüssig, wird aber trotzdem benutzt. Dieses Prinzip kennen wir von Schlankheitstropfen oder Anti-Mücken-Armbändern, die aber ebenfalls nicht aussterben.

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Ähnlich wie Corona mutieren übrigens auch Trendworte. Ein Ableger des Narrativs könnte zum Beispiel das plötzlich aus keinem großen Unternehmen mehr wegzudenkende „Mindset“ der Belegschaft sein. Jahrzentelang sind wir mit Topfset und Tischset ausgekommen, jetzt brauchen wir offensichtlich auch noch ein Mindset. Mindset ist übrigens das, was früher einfach „Einstellung“ oder „Haltung“ hieß, jetzt aber von Managern umbennannt wurde, damit sie ihre Spitzengehälter dadurch rechtfertigen können, dass Ihnen normale Menschen inhaltlich nicht mehr folgen können.

Übrigens brauchen wir weder schwachmatische Fremdwort-Neukonstruktionen noch englische Business-Floskeln, um Sprach-Murks zu produzieren. Das können wir auch ganz alleine. Kleines Beispiel: Neuerdings ist alles „herausfordernd“: Die wirtschaftliche Lage ist für Unternehmen herausfordernd, Schulen in Problemvierteln habe eine herausfordernde Lage und die klimatische Entwicklung ist auch herausfordernd. Bisher hatten wir dafür eigentlich ein relativ simples und bewährtes Adjektiv, das aber in Zeiten der achtsamen Befindlichkeitssprache wohl zu grobschlächtig daher kommt: „Herausfordernd“ ist in Wirklichkeit nur das neue „beschissen“ ...

Aber möglicherweise habe ich ja einfach noch nicht das richtige Mindset, um mich modernen Sprachentwicklungen öffnen zu können. Also zwinge ich mich mal dazu und schlage die Brücke zwischen Sport und Kultur: „Der WSV spielt morgen in Essen und will mit einem oszillierenden Kaleidoskop von Torschüssen Zonen des Übergangs zwischen Sieg und Niederlage ausloten, an deren Ende eine herausfordernde Tabellensituation das apokalyptische Narrativ von denen, die sowieso nicht aufsteigen wollen, in zukunftsweisende Fan-Sehnsucht münden lässt ...“

Ich glaube, ich bin doch noch nicht so weit und bleibe lieber bei Adi Preißler: „Wichtig is‘ auf‘m Platz!“ Und auch auf der Bühne ...

Bis die Tage!