1. Kolumne
  2. Toreschluss

Nach Toreschluss - die Wochenendsatire: Immaterielles Kulturerbe

Nach Toreschluss - die Wochenendsatire : Immaterielles Kulturerbe

Die Müngstener Brücke soll Weltkulturerbe werden. Das geht in Ordnung, weil sie mit Blick auf die deutschen Autobahnbrücken tatsächlich ein Zeugnis dafür ist, dass man früher noch Brücken bauen konnte, die nicht nach 50 Jahren gesprengt werden müssen oder von selbst zusammenfallen.

Wussten Sie übrigens, dass es neben dem normalen Weltkulturerbe auch noch ein immaterielles gibt? Dazu gehören zum Beispiel die kubanische Rumba oder der Pinisi-Bootsbau in Indonesien, von dem Sie sicher auch schon gehört haben. Die Idee dabei ist, überliefertes menschliches Wissen und Können sowie identitätsstiftende Gebräuche zu würdigen. Die deutsche UNESCO-Kommission führt sogar eine eigene Liste mit immateriellem nationalen Kulturerbe, die in verschiedenen Kategorien aktuell 131 Positionen umfasst.

Unter den „Kulturformen“ finden sich da zum Beispiel das Kasperltheater (das mit Puppen, nicht das mit den Corona-Regeln) und der Zwiefacher. Bei Letzterem handelt es sich um einen bayerischen Volkstanz, der Menschen oberhalb der Weißwurstgrenze zwar die Lederhosen auszieht, aber unterhalb davon offensichtlich ähnlich viel Identität stiftet wie weiland Franz Josef Strauß.

Kultur ist erstaunlicherweise auch die Morsetelegraphie. Vermutlich hat sie es als bedrohte Art auf die Liste geschafft, weil sie bei jüngeren Menschen in Vergessenheit zu geraten droht. Die können mit ihr nichts anfangen, weil es für Emojis keine Morsezeichen gibt.

  • Roderich Trapp.
    Nach Toreschluss - die Wochenendsatire : Fischerschöpfungstag
  • Roderich Trapp.
    Nach Toreschluss - die Wochenendsatire : Knolli Knolli – Schabau!
  • Die Müngstener Brücke ist ein Wahrzeichen
    Positiver Bescheid : Weltkulturerbe: Müngstener Brücke auf NRW-Liste

In der Rubrik „Bräuche und Feste“ finden sich weltberühmte Events, die keiner kennt. Etwa das Wunsiedler Brunnenfest, die Lindenkirchweih in Limmersdorf oder die Spergauer Lichtmeß, die wir offensichtlich bisher lebenslang unterschätzt haben. Sobald ich endlich überall woanders war, werde ich da bestimmt mal nicht hinfahren.

Würdigenswert erscheinen der UNESCO zudem in der Rubrik „Mensch und Natur“ die Karpfenteichwirtschaft in Bayern oder die Wiesenbewässerung in den Queichwiesen zwischen Landau und Germersheim, von der Sie sicherlich auch mehrmals wöchentlich im Kreise von Familie und Freunden schwärmen. Es sei denn, Sie sind gerade mit dem Thema der Bewahrung und Nutzung der Zeesboote in der Mecklenburg-Vorpommerschen Boddenlandschaft beschäftigt, die ebenfalls auf der Liste steht.

Unter dem Stichwort „Leben in Gemeinschaft“ finden wir etwas überraschend die „Auseinandersetzung mit dem Rattenfänger von Hameln“, bei dem ich eigentlich sicher war, dass er längst nicht mehr tätig ist. Außerdem bestaunt die Welt die „Osingverlosung“ – eine jahrhundertealte Tradition, bei der nach jeweils zehn Jahren gemeinschaftlich besessene Äcker unter den Bauern der Dörfer Humprechtsau, Krautostheim, Herbolzheim und Rüdisbronn neu aufgeteilt werden.

Das wirft für mich allerdings die Frage auf, warum Krautostheim, Wunsiedel oder Limmersdorf ein mehrstufiges UNESCO-Verfahren durchlaufen haben und mit ihrem Felder-Lotto, Brunnenumtanzungen oder Grasbegüssen Kulturerbe sind, aber Wuppertal nirgendwo auftaucht. Dat darf doch wohl nicht wahr sein und muss dringend geändert werden.

Ich hätte da auch schon einen ganz konkreten Vorschlag für die Kategorie „Leben in Gemeinschaft“, die ausweislich der Bestimmungen Kulturformen würdigt, die Ausdruck menschlicher Kreativität und kultureller Vielfalt sind, ein Gefühl von Identität vermitteln und durch ihre Gemeinschaften und die Interaktion mit ihrer Geschichte und Umwelt stetig weiterentwickelt werden. Da drängt sich doch förmlich auf: „Moppern in Wuppertal“.

Das verbindet uns ja nun wirklich über alle Stadtteilgrenzen hinweg, entwickelt sich immer weiter (1900: „Wat soll dattann mit der beknackten Bahn von dem Birnemann Lanngen?“; 2005: „Im Leben gippt dat keinen mit der bekloppten Trasse da ...“; 2022: „Die hamse doch nich mehr alle mit ihrer BUGA!“) und ist Ausdruck menschlicher Kreativität, weil die vielgestaltigen Formen des Mopperns quasi eine eigene Kunstform darstellen.

Nehmen Sie nur mal die große lokale Formulierungsfamilie rund um den Tatbestand, dass man sich über etwas aufregt. „Ich krich et im Kopp“, „Ich krich Männekes“, „Ich krich et am Appel“, „Ich krich einen anne Mütze“, „Ich krich et an mich“, „Ich krich Pickel“ – wenn das Zeitungspapier nicht gerade so furchtbar teuer wäre, könnte ich damit noch drei Seiten weitermachen.

Wenn das nicht Kreativität ist, dann weiß ich es auch nicht. Also rein mit dem Wuppertaler Moppern ins immaterielle Kulturerbe – sonst krich ich die Pimpernellen!

Bis die Tage!