Kommentar zum Corona-Pandemie Impfpflicht? Nein, aber ...

Wuppertal · Die Idee hört sich nachvollziehbar an. Wer sich nicht gegen COVID-19 impfen lassen will, obwohl keine (wissenschaftlich erwiesenen) Gründe dagegensprechen, sich aber später infiziert, der soll die (bis zu fünfstelligen) Kosten der Behandlungen selber tragen. Klingt logisch, oder?

 Jörn Koldehoff.

Jörn Koldehoff.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Max Höllwarth

„Nein“, kommt postwendend der Widerspruch. „Wir sind schließlich eine Solidargemeinschaft.“ – „Richtig, doch warum Leuten helfen, die sich nicht solidarisch verhaften?“, schallt dem entgegen. Und schon ist die nächste Diskussion im Gange. Das allerdings ist gut so. Es zeigt, dass man in diesem Land sehr wohl offen über wichtige Fragen sprechen kann, darf und muss.

Eine Impfpflicht müsste in einem parlamentarischen Diskurs gesetzlich verankert werden. Und vor allem – bei Klagen vom Bundesverfassungsgericht bestätigt werden. Wer dessen Urteile genau studiert, weiß: Letzteres ist alles andere als sicher. Was wiederum zeigt, dass die Demokratie (bei allen Fehlern, die passieren) mit ihrer Gewaltenteilung durchaus funktioniert und auch das bessere Staatssystem ist als andere. Umso absurder, dass noch immer stereotype Aussagen kommen mit Schlagwörten wie „Diktatur“, „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ und „Zensur“. Sie kommen aus bekannten, klare Ziele verfolgenden Ecken. Oder von Menschen, die nicht akzeptieren wollen, wenn eine Mehrheit anderer Meinung ist.

Doch wie sieht es inhaltlich aus? Impfpflicht ja oder nein? Auch wenn viele (Kinder-)Krankheiten in Deutschland vor allem durch jahrezehntelange kontinuierliche Impfungen erfolgreich in den Hintergrund gedrückt und erst durch die Müdigkeit jüngerer Elterngenerationen wieder stärker in Erscheinung treten, stellt das möglicherweise einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte dar. Ist das der Fall, würde das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Grundgesetzes wie immer in der Vergangenheit direkt einschreiten. Andererseits hat der Staat die Unversehrheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Und wer momentan die Lage in den Krankenhäusern kennt, hält das für kein schlechtes Gegenargument.

Es gibt noch viele Fragen zu klären. Das ist insofern kein Problem, als momentan eh noch nicht genügend Impfstoff zur Verfügung steht. Aber natürlich kann es sein, dass die Privatwirtschaft (Supermärkte, Fluggesellschaften, Theater und viele mehr) später im Rahmen ihres Hausrechts einen Impfnachweis verlangt, sofern das (juristisch abgeklärt) keine Diskriminierung darstellt. Wie das allerdings in der Praxis umgesetzt werden soll, ist umstritten.

Darf / muss jeder Geschäftsinhaber kontrollieren? Gilt das nur für COVID-19 oder später dann auch für andere Krankheiten? Wie ohnehin logischerweise noch so viele Fragen offen sind, weil es diese spezielle Pandemie bisher nicht gab und auch die Wissenschaft nach und nach neue Erkenntnisse gewinnt. Was ganz normal ist. Oder hat jemand die Patentlösung parat? Letztlich sollte jede(r) selbst entscheiden, was sie oder er für richtig hält. Ich selber habe in diesem Jahr zum ersten Mal an einer Grippeschutzimpfung teilgenommen. Nebenwirkungen habe ich keine gespürt. Und ich werde mich auch gegen COVID-19 impfen lassen. Das ist meine persönliche Entscheidung ohne jeglichen Drang, missionieren zu wollen.

Das gilt aber nicht für eine andere Sache: Bitte damit aufhören, jede Entscheidung, die einem persönlich nicht passt, reflexartig mit dem Untergang der Demokratie in Verbindung zu bringen. Die ist vielmehr aus einer ganz anderen Richtung in Gefahr – siehe die Morddrohungen gegen den Wuppertaler Bundestagsabgeordneten Helge Lindh.

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