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 Kommentar zum gesellschaftlichen Umgangston: Kühlen Kopf bewahren

Kommentar zum gesellschaftlichen Umgangston : Kühlen Kopf bewahren im Winter

Jogi muss weg! Hat das Volk so entschieden. Jedenfalls der Teil davon, der sich für sportlich hoch interessante Wettbewerbe wie die „Money League“, Entschuldigung: die „Nations League“ interessiert.

Der ein 0:6 in Spanien als nationale Schande betrachtet und die Rückkehr von Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller fordert. Die haben 2018 mit der DFB-Elf in den Niederlanden immerhin nur 0:3 verloren. Dass nach dem WM-Gewinn die Nachwuchsarbeit vernachlässigt wurde, die Bundesliga keine guten Defensivspezialisten hervorbringt, auch ein Oliver Bierhoff massiv schlechte Arbeit leistet – geschenkt!

Dass Hass und Wut ein Zeichen der Zeit sind, stimmt natürlich. Wobei hier kurz an die Morddrohungen erinnert sei, die Sepp Herberger (damals noch per Post) 1954 nach der einkalkulierten 3:8-Niederlage gegen Ungarn erhielt. Und doch hat sich längst etwas verändert: Was früher an der Theke diskutiert wurde (und schlimmstenfalls mit einer kernigen Schlägerei inklusive schnapsseliger Versöhnung endete), wird nun im Internet ausgetragen. Jeder weiß etwas, jeder hat zu jedem Thema eine Meinung – und muss sie loswerden. Dass sich irgendwo wenigstens zwei Leute finden, die das eigene Ansinnen bestätigen, sorgt für Selbstbestätigung. Anderes wird nicht zur Kenntnis genommen.

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Im Grunde wird kaum noch wirklich diskutiert. Ein erhellender Austausch von Standpunkten findet höchst selten statt, ohne dass spätestens nach dem dritten Satz die erste Beleidigung folgt. Online-Kommentarspalten sind dadurch im Grunde unlesbar. Es verwundert nicht, dass die meisten Verlage sie inzwischen nicht mehr (oder nicht mehr direkt) freischalten. Das ist leicht erklärbar und natürlich keine Zensur. Die Zahl des Gesetzesverstöße (Beleidigung, Unterstellung, üble Nachrede etc.) ist so groß, dass der Arbeitsaufwand für die Redaktionen ohne Hilfe der Rechtsabteilung nicht mehr zu leisten ist.

Wer wirklich die Demokratie retten will, muss um sie kämpfen – und notfalls auch einsehen, wenn man nicht in der Mehrheit ist. Die Gerichte schützen das hohe Gut der Meinungsfreiheit, zu Recht. Von interessierten Kreisen gestreute Lügen, Bedrohung von Abgeordneten und organisierter Krawall (die Liste lässt sich beliebig verlängert) gehören nicht dazu. Offene Diskussionen pro und contra Schul- und/oder Gastronomie-Schließungen aber sehr wohl.

Wer auch künftig in einer offenen und freien Gesellschaft (wie gegenteilige aussehen, zeigt sich gar nicht weit weg von hier) leben will, sollte sich klar bekennen. Etwa dann, wenn das vom Bundestag im Schnellverfahren verabschiedete „Infektionsschutzgesetz“ (das ja eigentlich das Bund-Länder-Chaos mindern soll, trotzdem aber Anlass zu berechtigter Kritik gibt) mit dem „Ermächtigungsgesetz“ der Nazis verglichen wird. Das ist frech und mehr als geschmacklos – eben von interessierten Kreisen initiiert.

Die meisten Bürgerinnen und Bürger (eben die Mehrheit) haben in diesen schwierigen Zeiten bislang klaren Kopf bewahrt. Das ist erfreulich. Und doch wichtiger als eine stabile Fußball-Abwehr.