Chronik der Turbulenzen Matthias Nocke: Ein kurzes CDU-Intermezzo

Wuppertal · CDU-Kreisvorsitzende in Wuppertal pflegten zuletzt lange zu amtieren: Hermann Josef Richter (1990 bis 1999), Jürgen Hardt (2003 bis 2014) und Rainer Spiecker (2014 bis 2019) waren Dauerbrenner. Selbst der umstrittene Udo Hackländer (1999 bis 2003) brachte es auf vier Jahre. Matthias Nocke schaffte dagegen nur acht Monate, am Dienstag trat er zurück. Die Chronik seines Scheiterns.

 Matthias Nocke (rechts) beim Parteitag im Mai nach seiner Wahl mit dem von ihm gestürzten Vorgänger Rainer Spiecker.

Matthias Nocke (rechts) beim Parteitag im Mai nach seiner Wahl mit dem von ihm gestürzten Vorgänger Rainer Spiecker.

Foto: Wuppertaler Rundschau

7. Mai 2019: Dezernent Matthias Nocke überrascht selbst hochrangige lokale CDU-Größen mit seiner Ankündigung, auf dem unmittelbar bevorstehenden Parteitag für den Kreisvorsitz zu kandidieren. Der amtierende Parteichef Rainer Spiecker erfährt davon per SMS.

10. Mai 2019: Nocke gewinnt nach einer flammenden Parteitagsrede („Schluss mit der Leisetreterei! Wir können Wuppertal!“) die Kampfabstimmung gegen den hölzern auftretenden Spiecker klar mit 112:76 Stimmen. Gleichzeitig düpiert er mit dem Fraktionsvorsitzenden Michael Müller eines der einflussreichsten CDU-Urgesteine. Müller, der zuvor mit der Aufkündigung der großen Kooperation mit der SPD im Rat und dem Schwenk zu den Grünen selbst ein Ausrufezeichen gesetzt hatte, schlägt in einer Wutrede zurück, das Tischtuch ist zerschnitten.

13. Mai 2019: Michael Müller zieht die Konsequenzen und tritt als Fraktionsvorsitzender zurück. Ludger Kineke und Hans-Jörg Herhausen übernehmen eine Woche später als neue Doppelspitze.

September 2019: Interessierte Kreise lancieren öffentlich den Namen von Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts, als potenziellem gemeinsamen Oberbürgermeister-Kandidaten von Grünen und CDU.

26. September 2019: In einer gemeinsamen Erklärung teilen CDU und Grüne mit: „Es wird den derzeit stattfindenden Sondierungsgesprächen nicht gerecht, durch vorzeitige Spekulationen Ergebnisse vorwegzunehmen.“ Tatsächlich scheint vor allem innerhalb der CDU unklar, wie die Mitglieder zum Thema Schneidewind stehen.

9. Oktober 2019: Die CDU erteilt Schneidewind eine Abfuhr, nachdem sich der von Nocke geführte Kreisvorstand bei drei Enthaltungen einstimmig gegen den Wissenschaftler ausgesprochen hatte. Nocke erklärt öffentlich, dass seitens der CDU-Mitglieder große Bedenken herrschten, ob Schneidewind Themen der CDU vertreten könne. Außerdem sei man skeptisch, ob Schneidewind den Konzern Stadt führen könne. Eine fatale Fehleinschätzung der Stimmung an der CDU-Basis. Schneidewind kontert die Vorwürfe mit Hinweisen auf seine Vita und erklärt seine grundsätzliche Bereitschaft, auch ohne CDU-Unterstützung anzutreten.

11. Oktober 2019: Die Grünen informieren ihre Mitglieder darüber, dass Schneidewind ursprünglich gar nicht von ihnen, sondern von der CDU ins Gespräch gebracht worden sei, man sich nun aber auch vorstellen könne, ihn ohne Unterstützung des Kernbündnis-Partners ins Rennen zu schicken.

16. Oktober 2019: In einem Schreiben an die Mitglieder verteidigt Nocke mit dem Vorstand die Entscheidung gegen Schneidewind und erklärt, der Kandidat sei seinerzeit von zwei CDU-Funktionsträgern im Alleingang ohne Rücksprache mit den Gremien ins Spiel gebracht worden. Gleichzeitig sorgen Spekulationen, Nockes Ehefrau Barbara Reul-Nocke könnte die OB-Kandidatur anstreben, für Unruhe. Nockes familiäre Konstellation – er ist außerdem der Schwager von NRW-Innenminister Herbert Reul – wird parteiintern ohnehin schon kritisch beäugt.

17. Oktober 2019: Wuppertals Junge Union übt scharfe Kritik an der Entscheidung gegen Schneidewind, redet mit Blick auf eine mögliche Reul-Nocke-Kandidatur von Vetternwirtschaft und fordern ein Umdenken. Nocke weist die Kritik umgehend zurück.

18. Oktober 2019: Rolf Köster, Mitglied im CDU-Kreisvorstand, spricht sich für einen Mitgliederentscheid zur OB-Kandidatur aus.

23. Oktober 2019: Nocke rudert angesichts von allen Seiten einprasselnder Kritik an der Entscheidung gegen Schneidewind zurück und kündigt an, in einer Mitgliederbefragung die Meinung der Parteibasis einzuholen.

25. Oktober 2019: Der in CDU-Kreisen immer noch höchst populäre Ex.-Oberbürgermeister Peter Jung spricht sich in einem offenen Brief gemeinsam mit Ex-Parteichef Hermann Josef Richter und der stellvertretenden Kreisvorsitzenden und JU-Vorsitzenden Caroline Lünenschloss für Schneidewind aus.

19. November 2019: Mit Caroline Lünenschloss und Christian Wirtz treten zwei CDU-Nachwuchshoffnungen aus dem Parteivorstand zurück. Beide üben Kritik an der Zusammenarbeit im von Nocke geführten Gremium.

9. Dezember 2019: Schneidewind stellt sich in der Stadthalle der CDU-Basis vor und trifft deren Nerv. Die 112 anwesenden Mitglieder bewerten seinen Auftritt in der anschließenden Befragung positiv. Mehr als 75 Prozent trauen ihm im Gegensatz zu Nocke das Oberbürgermeister-Amt zu.

16. Dezember 2019: Bei einem improvisierten Pressetermin am Rande der Ratssitzung gibt Nocke bekannt, dass die CDU-Kreiskonferenz ihren Mitgliedern empfiehlt, bei der für den 7. Februar geplanten Aufstellungsversammlung Schneidewind als gemeinsamen OB-Kandidaten von CDU und Grünen zu unterstützen. Nocke zur Begründung: „Die Mitgliederversammlung und auch viele weitere Gespräche haben am Ende überzeugt.“

17. Januar 2020: In der Öffentlichkeit wird bekannt, dass Nocke beim NRW-Datenschutzbeauftragten Selbstanzeige erstattet hat. Es geht um eine unter Verschluss gehaltene CDU-Mitglieder-Liste, die er sich besorgt haben soll, um damit illegal Werbung für seine Kandidatur beim Parteitag im Mai 2019 zu machen.

21. Januar 2020: Die Datenschutz-Affäre bringt das Fass zum Überlaufen. Nocke tritt als Kreisvorsitzender zurück, obwohl er nach eigener Einschätzung unverändert das Vertrauen der Mehrheit des Kreisvorstandes und der CDU-Mitglieder genieße. „Allerdings muss ich zur Kenntnis nehmen, dass dies nichts an der gegenwärtigen Situation der CDU Wuppertal ändern würde, da eine kleine, aber einflussreiche Gruppe unverändert verhindert, dass unsere Mannschaft durch Arbeit ins Spiel kommt. Da es nicht um Inhalte und Personalentscheidungen, sondern um die fortgesetzte maximale Beschädigung meiner Person geht, sehe ich mich außer Stande, die Union geschlossen in diese für uns so wichtige Wahl zu führen“, so Nocke in seiner Rücktrittserklärung.

Und jetzt? Nächste Woche will sich die CDU zusammensetzen, um das Verfahren für die Suche nach einem neuen Kreisvorsitzenden zu klären. Bis dahin sind die stellvertretenden Kreisvorsitzenden Barbara Becker und Rolf Köster in der Verantwortung.

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