Nach Toreschluss - die Wochenend-Satire Im Zeittunnel

Wenn wir Wuppertaler nicht alle schon mit einem Regenschirm auf die Welt kommen würden, wäre uns diese Woche einer gewachsen. Um endlich mal wieder die Sonne zu sehen, habe ich mir bei TOP Reisen in Elberfeld einen TUI-Katalog geholt.

 Rundschau-Redakteur Roderich Trapp.

Rundschau-Redakteur Roderich Trapp.

Foto: Bettina Osswald

Auf dem Weg dorthin steigerte sich der Dauerregen zu einem gezieltem Beschuss mit kindskopfgroßen Hagelkörnern in Kombination mit Windstößen der Stärke acht, die sämtliche mir angeborenen und nachgewachsenen Schirme in ihre Einzelteile zerlegten. Letzte Rettung: Schnell Zuflucht suchen in der Unterführung am Ende des Walls, die unter der B7 hindurch zur Südstraße, zum Sparkassen-Neubau und zur Rundschau führt.

 In Kürze Wuppertaler Stadtgeschichte.

In Kürze Wuppertaler Stadtgeschichte.

Foto: Rundschau

Dort staunt man selbst als erfahrener Wuppertaler Katastrophentourist über den Anblick, den diese 50 Straßenmeter aktuell bieten. Seit neulich die bisher hier hängenden Plakatwände entfernt wurden, ist der Blick auf etwas freigelegt, das an eine Mischung aus schlimmen Weltkriegsschäden und verlassenen altägyptischen Ausgrabungsstätten erinnert. Es ist offenbar so, dass kurz nach dem Einmarsch Napoleons im Rheinland prähistorische Werbeexperten Schaukästen in den Wänden der Unterführung installiert haben, die dann von den später montierten Plakatwänden verdeckt wurden und dahinter langsam verrottet sind.

Wenn Sie schon immer mal sehen wollten, wie eine mitteldichte Holzfaserplatte aussieht, wenn man sie jahrzehntelang in einem feuchten Biotop bei im Schnitt fünf Grad Celsius lagert, können Sie das hier tun. Im depressiven optischen Zusammenspiel mit zerborstenem Glas, verrosteten Metallplatten und verbogenen Wandverkleidungen aus einer Art Resopal in Champignoncreme-braun wirkt die Gesamtkomposition wie die Visualisierung einer psychischen Krankheit. Für den letzten Pfiff sorgen die bedrohlich von der Unterführungsdecke herabrankenden Hängepflanzen. Genau so sah auch die gruselige Grotte im Kino-Klassiker "Alien" aus, in der die Kokons mit dem Nachwuchs der gefräßigen Außerirdischen lagerten.

Bei meinen archäologischen Untersuchungen dieses Trojas der Schauwerbegestaltung fand ich aber weder Überreste extraterrestrischen noch sonstigen Lebens. Nur an einer einzigen Stelle prangt noch verschüchtert der Schriftzug "Radio Faulstich". Möglicherweise handelt es sich dabei um eine prähistorische Rundfunkanstalt oder eine Reparaturwerkstatt für Volksempfänger.

Aber dann ist da doch noch was, fast unter der Decke: Drei Zeilen aus der Spraydose eines Graffiti-Poeten, der in einer Art postmodernem Mittelhochdeutsch die Elberfelder Gesamtsituation so zusammenfasst: "Kwas Bulle, Muck andro, City lebt". Schöner hätte ich es auch nicht sagen können. Und prompt hört es auch auf zu regnen...

Bis die Tage!

P.S.: Falls Sie auch mal in diesen Zeittunnel möchten, müssen Sie sich beeilen. Ab Montag ist er für Fußgänger gesperrt, weil die Brücke neu gebaut wird. Also hier sicherheitshalber noch ein Erinnerungsbild.

(Rundschau Verlagsgesellschaft)
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