Prozess nach Messerstecherei Kipdorf: Bedrohungen, Kopfgeld und ein Toter

Wuppertal · Der Streit zwischen zwei Clan-Familien um eine Shisha-Bar soll im August 2017 bei einer Messerstecherei am Kipdorf eskaliert sein. Dort sollen vier Mitglieder der einen Familie auf zwei Brüder der anderen Familie mit Messern und Kurzschwertern eingestochen haben. Eines der beiden Opfer hatte den Angriff nicht überlebt, zwei der Täter (damals 14 und 16 Jahre) wurden bereits zu hohen Jugendstrafen verurteilt. Die anderen beiden Täter waren in die Ukraine geflohen und müssen sich nun vor dem Landgericht verantworten.

 Die Angeklagten mit einer Dolmetscherin.

Die Angeklagten mit einer Dolmetscherin.

Foto: Mikko Schümmelfeder

An den Anfang dieses Gerichtsberichtes gehört ein Geständnis: Auch nach zwei Stunden aufmerksamen Zuhörens kann der Sachverhalt nicht lückenlos nachvollzogen und hier aufgeschrieben werden. Was genau im August 2017 vor einem Friseursalon am Kipdorf passiert sein soll, steht in der Ermittlungsakte auf hunderten von Seiten und wird sich wohl erst im weiteren Prozessverlauf erschließen. Am Ende hatte es bei der Messerstecherei einen Toten gegeben, dessen Bruder wurde bei dem Angriff verletzt. Auf der Anklagebank: Ein 25-jähriger Syrer und dessen Schwager (31). Zwei weitere an der Tat beteiligte Familienangehörige, die zum Tatzeitpunkt 14 und 16 Jahre alt gewesen sein sollen, wurden bereits in einem gesonderten Verfahren zu neun Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt.

Die beiden nun angeklagten Männer waren nach der Tat über die Niederlande und Belgien in die Ukraine geflohen. Dort hatte man sie aufgegriffen, vorübergehend inhaftiert und später ausgeliefert. Die Angeklagten behaupten nun, sie seien nicht vor der Polizei geflohen, sondern vor der Familie der beiden Opfer. Die habe ein Kopfgeld von 50.000 Euro für deren Ergreifung ausgesetzt und sogar bis hinein in die ukrainische Zelle habe es Bedrohungen gegeben.

Das war einer die vielen Momente, in dem man als Prozessbeobachter gerne die Hand gehoben hätte, um ein paar Fragen zu stellen. Bereits zuvor hatten die Verteidiger der beiden Angeklagten umfangreiche Erklärungen zum Tatgeschehen verlesen. Darin tauchten derart viele Namen und Details auf, dass man Mühe hatte, den Überblick über die vermeintlichen Abläufe nicht gänzlich zu verlieren.

Soviel allerdings scheint klar zu sein: Die Familien der beiden Opfer und der vier Täter sollen lange vor der Messerstecherei am 18. August 2017 in Streit geraten sein. Dabei soll es um eine Shisha-Bar gegangen sein, die man - früher miteinander befreundet - gemeinsam betrieben habe. „Mein Vater hatte dort 220.000 Euro investiert und das Mobiliar in zwei Schiffscontainern aus Dubai kommen lassen“, erzählte einer der beiden Angeklagten dem Gericht. Irgendwann habe es Probleme mit Mietzahlungen und den Schließungszeiten gegeben. Die Familie, aus der die späteren Opfer stammten, habe für den Ausstieg aus dem gemeinsamen Geschäft 50.000 Euro verlangt. Die habe man nicht zahlen wollen, woraufhin man bedroht worden sei. Es habe einen Vorfall gegeben, bei denen Familienmitglieder der Angeklagten mit dem Messer bedroht und verletzt worden sein sollen. Man habe alles bei der Polizei angezeigt - dort allerdings sei nichts unternommen worden.

 Die Szenerie nach der Tat.

Die Szenerie nach der Tat.

Foto: Dirk Lotze

Die Familie der Opfer wiederum soll die Polizei gerufen haben, als einen Monat vor dem folgenreichen Aufeinanderstreffen am Kipdorf an einer weiteren, sich in deren Besitz befindlichen Shisha-Bar die Scheiben eingeschlagen worden waren. „Es sollen mehrere hochwertige Fahrzeuge mit auswärtigen Kennzeichen vorgefahren sein“, berichtet ein Polizeibeamter aus der umfangreichen Akte, die es schon in den Monaten zuvor gegeben habe. Im Umfeld dieser Attacke sei gemutmaßt worden, dass der Angriff von der Familie der späteren Täter ausgegangen sein soll. Ein bis zweimal im Monat sei man an den Shisha-Bars am Neumarkt und in der Luisenstraße vorgefahren, weil es dort Streitigkeiten unter Gästen gegeben habe. Zufälligerweise sei er auch nach der Messerstecherei einer der ersten Beamten vor Ort gewesen. Eines der beiden Opfer habe da noch in der Einfahrt neben dem Friseursalon gelegen - ein zufällig am Tatort anwesender Arzt hatte da schon keinen Puls mehr bei dem Mann fühlen können. Dessen Bruder war von Zeugen in den Friseursalon gezogen worden und hatte den Angriff mit Messern und Kurzschwertern überlebt.

Die beiden Angeklagten behaupten nun, von den späteren Opfern in die Auseinandersetzung hineingezogen worden zu sein. Einer der Männer will zuvor in dem Friseursalon gewesen und dort bedroht worden sein. Ein Friseur habe ihn daraufhin vor die Türe gebracht, von wo aus er in die Wohnung seines nun mitangeklagten Schwagers geflohen sein will. Gemeinsam sei man dann auf die Straße geeilt, weil man ein weiteres Familienmitglied dort in Gefahr gewähnt habe.

Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten hingegen vor, die Tat mit den zwei, bereits verurteilten Mittätern geplant zu haben. Sie sollen die Opfer aus dem Friseursalon gelockt und sie auf der Straße angegriffen haben. Einer der Angeklagten soll ihnen nacheinander in den Rücken gestochen und einem der Opfer dadurch eine tödliche Verletzung zugefügt haben. Er selbst ließ seine Verteidigern den Tatablauf anders schildern: Demzufolge sei er von dem später verstorbenen Opfer zu Boden gerissen worden, mit dessen Tod habe er hingegen nichts zu tun. Dessen Bruder habe er allerdings zuvor in den Arm gestochen, weil er befürchtet habe, dass der ein Tor schließen würde, hinter dem seine Familienangehörigen und die späteren Opfer in die Auseinandersetzung verwickelt gewesen seien.

Der Prozess wird fortgesetzt, bis zum 30. Oktober sind 13 weitere Verhandlungstage angesetzt. Den wegen Totschlags und versuchtem Totschlag angeklagten Syrern droht eine Freiheitsstrafe zwischen 5 und 15 Jahren.

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