Die Geschichte von der unheimlichen, grauslichen Rechenmaschine im Rathaus

Betr: Abgang von Theater-Intendantin Susanne Abbrederis, Seilbahn und einige Wuppertal-Facetten mehr

Es war einmal eine Stadt. Sie lag an einem Fluss, auf den die Bewohner sehr stolz waren. Sie bemühten sich sehr um den Fluss und um ihre Stadt und versuchten sie immer schöner zu machen, was ihnen auch gelang. Den Bewohnern ging es gut, sie hatten Arbeit und hatten Nahrung. Und auch die, die keine Arbeit hatten, hatten dennoch Nahrung. Der Krieg, der Not und Elend über sie gebracht hatte, war lange vorbei. Die jungen Bewohner wussten nur noch von den Erzählungen der Alten davon. Als viele fremde Menschen kamen, die vor dem Krieg in ihrem fernen Land geflohen waren, halfen sie ihnen in bewundernswertem Maße.

Damit die Stadt noch schöner und lebenswerter sein sollte, engagierten sich viele Bewohner für ihre Stadt. Sie schenkten zum Beispiel ihre Sammlung an kostbaren Fossilien und anderen naturwissenschaftlichen Objekten dieser Stadt, denn sie war durch die Initiative eines klugen Landesvaters, der ein Sohn der Stadt war, eine Universitätsstadt geworden. Auch sammelten sie Geld, damit es nicht nur ein normales Schauspielhaus geben sollte, sondern außerdem eine kleine Bühne für spezielle Aufführungen, wie es einer Universitätsstadt gebührt. Es gab in Schauspiel und Oper wunderbare, ganz besondere Aufführungen, wie man sie selbst in den großen Städten selten erleben konnte. Es war wie in einer Stadt mit hohem kulturellem Niveau.

Aber auf dieser Welt ist kein Glück vollkommen. So war es auch in dieser Stadt mit ihren liebenswerten, engagierten Bewohnern. Denn im Rathaus hauste eine unheimliche, ja grausliche Maschine. Eine Rechenmaschine. Jeder wusste von der Maschine und wusste, welche Macht sie hatte. Diese Maschine hatte alle und alles im Griff. Auch die klugen und bemühten Stadtverordneten, die so gerne für ihre Stadt das Allerbeste erreichen wollten, waren machtlos vor ihr. Wenn sie mit ihrem Basiliskenblick sie anschaute, waren sie wie hypnotisiert. Dann konnten sie nicht anders, dann mussten sie nachgeben und die kostbare Sammlung des Fuhlrott-Museums in alle Winde an andere Museen verteilen, weil kein Geld für eine anderweitige Lösung zur Verfügung gestellt wurde, für ein naturwissenschaftliches Museum, wie es sogar kleinere Städte vorzeigen können, die nicht Universitätsstadt sind.

Die Rechenmaschine war auch sehr froh, dass die Bürger der Stadt mit sehr engagierten Befürwortern so viel Geld zusammenbekamen, um eine kleine Bühne zu bauen. Denn nun konnte die Rechenmaschine das große, elegante Schauspielhaus schließen.

Die Stadtverordneten konnten nicht anders und haben auch nachgegeben, die festen Ensembles von Oper und Schauspiel aufzulösen. Von überall her herangeholte Künstler sollten es billiger machen.

Die Bürger der Stadt aber waren nicht zufrieden. Sie hatten so viel mehr Kenntnis von Kunst und Wissenschaft als die Rechenmaschine. Sie wollten, dass ihr kulturelles Erbe an die nächste Generation weitergegeben wird. Sie wollten, dass in den Köpfen ihrer Kinder mehr sein sollte, als Pokemon und RTL. Sie wollten keinen Niveauverlust wie im Privatfernsehen, wo das gezeigt wird, was Gewinn bringt. Sie wollten eine Kultur haben, die einer Universitätsstadt angemessen ist. Sie wussten, anders als die Rechenmaschine, dass der Wert von Kultur nicht mit dem Wert von Geld gemessen werden kann.

Da aber hatte die Rechenmaschine sich Verstärkung geholt. Eine noch größere und berühmtere Rechenmaschine sollte ausrechnen, wie Schauspiel und Oper Gewinn erzielen könnten. Gewinn, der sich in Euro und Cent zeigt, nicht etwa im Inhalt, in der Aussage, im künstlerischen Wert. Auch diese noch größere und berühmtere Rechenmaschine konnte zwar rechnen, kannte aber ebenfalls nichts von Kultur.

Bisher hatte die Rechenmaschine bestimmen können, wie es weiter geht. Jetzt aber zeigte die Intendantin des Schauspiels der Rechenmaschine ihre Grenzen. Sie geht. Sie hatte Produktionen geschaffen, die es sonst nirgendwo im Land gab. Die gezeigten Stücke bekamen so viel mehr Aussage, als auf der Theaterbühne und gewannen eine Ausstrahlung, die man nicht für möglich gehalten hatte. In anderen Städten dagegen ließ man im verzweifelten Versuch, Publikum ins Theater zu locken, die Schauspieler nackt über die Bühne laufen.

Das hatte die Intendantin nicht nötig, denn sie hatte Ideen mit Substanz. Aber nun hat die Rechenmaschine gewonnen, wieder einmal. Die Stadt und ihre Bewohner, die sich so viel Mühe gaben, haben verloren.

Merkwürdig nur, dass die Rechenmaschine, die so sparsam ist und so gut rechnen kann, Millionen Euro aufbringen will, die die Stadt und das Land nicht haben, für ein Projekt, das niemals wirtschaftlich sein wird und jedes Jahr noch viel mehr Geld verschlingen wird - und das am Ende den Bürgern nötige Buslinien vor ihrer Haustüre wegnehmen wird, weil es so viel kostet: Die Seilbahn.

Birte Berg, Siegelberg

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