Wuppertaler Bücher Mühls Letztes – und noch mehr

Wuppertal · Nicht immer braucht es ellenlange Rezensionen. Hier sind vier Empfehlungen für besondere Wuppertaler Bücher.

 Dieses Foto, das Torsten Krug vor Jahren von Karl Otto Mühl gemacht hat, liefert als Schwarz-Weiß-Version das Cover von „Mein Leben als Greis“.

Dieses Foto, das Torsten Krug vor Jahren von Karl Otto Mühl gemacht hat, liefert als Schwarz-Weiß-Version das Cover von „Mein Leben als Greis“.

Foto: Torsten Krug

Karl Otto Mühl lebt nicht mehr. Er starb am 21. August 2020. Vorher hat er seine letzten Notizen zu einem Buch zusammengestellt – und bestimmt, dass es erst nach seinem Tod erscheinen darf. Jetzt ist es auf dem Markt. „Mein Leben als Greis“ heißt das 300-Seiten-Werk. Selten habe ich so oft Passagen am Rand angestrichen. Weil sie klug sind – und wahr. Weiß Gott nicht immer schön. Aber immer voller (Nächsten-)Liebe. Die unverwechselbare Stimme Mühls sowie seine nachdenklich-verschmitzte Welt- und Lebenssicht atmen aus jeder Seite. Man mag diese ungewöhnliche Biographie der letzten Jahre, diese Sammlung schier unendlich hin- und hergehender Gedanken gar nicht weglegen. Man wünscht sich, es käme keine letzte Seite. Und ich bedaure sehr, ihm das nicht mehr sagen zu können: „Herr Mühl, das ist Ihr bestes Buch.“ Nordpark-Verlag, 17 Euro.

Aus anderem, doch auch sehr lebendigen Holz ist Marina Jenkners neuer Roman „Die Geschichtenlauscherin“. Der Text, der sich anschließt an ihr schönes „Blaue Ufer“, erzählt von Agnes, die auf der Suche nach sich selbst ist. Der irgendwann klar wird, dass es nicht genug sein kann, „nur“ den Geschichten anderer Menschen zuzuhören, sondern dass sie auch eine eigene Geschichte braucht. Mit viel Ruhe und psychologischem Einfühlungsvermögen erzählt Marina Jenkner eine Wuppertaler Story, die jedoch auch irgendwo anders spielen könnte. Das Personal wird schnell plastisch – und große menschliche Zugewandtheit ist es, was „Die Geschichtenlauscherin“ ausstrahlt. Der Leser folgt der Titelheldin gern, erlebt ihre Welt mit, in der es um viel Neues, um Enttäuschungen und Erkenntnisse, um Demenz und Hoffnung und viel ganz Persönliches geht. Eine schöne, zart erzählte Entdeckungsreise mit einer echten Mutter-Tochter-Überraschung, der man die manchmal doch arg blumig-verschraubten Namen mancher Figuren gerne verzeiht. ML-Books, 12,90 Euro.

Die Zusammenhänge von Kunst und Frieden rückt das neue Buch der Wuppertaler Initiative „Out and About“ (OAA), das schlicht „Frieden“ heißt, in den Blickpunkt: Zahlreich und sehr hinschauenswert bebildert gibt es einige wenige Texte. Darüber hinaus jedoch ganz viele Fotos und Kunstreproduktionen, denn das Ganze ist auch eine Dokumentation der letzten beiden OAA-Projekte in Wuppertal. Ein reichhaltiger Fundus zum Blättern, Nachdenken und Sich-Erinnern. Erschienen im Selbstverlag, 20 Euro. Zu haben beispielsweise bei der Buchhandlung von Mackensen oder im Glücksbuchladen.

Zum Schluss noch etwas für die, die das Besondere in Sachen Form plus Inhalt mögen: Klaus Untiet und Peter Klassen haben mit „Hans Reichel. Daxophonie“ einem ungewöhnlichen Menschen ein 270-seitiges DIN-A4-Denkmal gesetzt. Die Rede ist von einem Katalogbuch über den Wuppertaler Universalkünstler Hans Reichel, der vor zehn Jahren starb. Reichel, der mit Peter Kowald und Peter Brötzmann einen Dreiklang markiert, war Musiker, Komponist, Improvisator, Fotograf, Schriftenerfinder – sowie Schöpfer und Virtuose auf dem nach im benannten, wahrlich außergewöhnlichen Instrument namens Daxophon. Das Buch, das inhaltlich und optisch definitiv aus dem Rahmen fällt, strotzt vor Text- und Bilddetails sowie detailverliebten Facetten, entfaltet einen höchst individuellen Sog. Wer solche Bücher, die immer selten bleiben werden, macht, braucht viel Zeit. Und Enthusiasmus. Wolke-Verlag, 38 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort