Prozess in Wuppertal Die Systemsprengerin und das Amtsgericht

Wuppertal · Eine 64-jährige Wuppertalerin war vom Amtsgericht wegen Volksverhetzung zu acht Monaten Haft verurteilt worden. Im Berufungsverfahren wurde nun deutlich: Es gibt Angeklagte, das nicht nur das Rechtssystem an seine Grenzen gelangen lässt.

 Das Wuppertaler Amtsgericht.

Das Wuppertaler Amtsgericht.

Foto: Dennis Polz

Was macht man bloß mit dieser Angeklagten? Die Frage dürften sich die Verfahrensbeteiligten nicht nur einmal gestellt haben. In einem Prozess, der schon mit einem Nervenzusammenbruch begonnen hatte. Unter Tränen rief die 64-Jährige in den Saal, sie wolle keinesfalls wieder zurück in die JVA in Köln. Sie werde sich sonst „den Strick nehmen“, es sei schlicht „die Hölle“.Später folgten verbale Angriffe gegen die Justizbeamten, die würden sie unmöglich behandeln. Inhaftierte Migranten seien die einzigen, mit denen sie hinter Gittern reden könne. Die würden ihr sogar beim Putzen der Zelle helfen. Ihrer „Nazivergangenheit“ habe sie im Knast den Rücken gekehrt.

Die Angeklagte geriet außer Rand und Band, immer wieder. Mal war es eine der Zeuginnen, dann der psychiatrische Sachverständige, gegen die sich die Verbal-Attacken richteten. Im Grunde lieferte sie in diesem Prozess einen Eindruck dessen, was sie zuvor wegen Volksverhetzung auf die Anklagebank gebracht hatte: Die 64-Jährige rastet unkontrolliert aus und bedient sich dabei verfassungswidriger Inhalte. Eine Bäckereiverkäuferin wurde von ihr als „Nazisau“ beschimpft, eine Passantin als „Judenhure“.

Im Gespräch mit einer Kollegin habe sie später gehört, dass die Frau beim Amt bekannt sei. Die Verkäuferin kannte sie ebenfalls, schon vor dem Ausraster in der Bäckerei: Sie gehöre in Barmen zum Stadtbild, sitze oft irgendwo herum und fluche vor sich hin.

Auch für das Gericht ist die Angeklagte keine Unbekannte: Beinahe 30 Vorverurteilungen, viele davon wegen Beleidigung. Vor vier Jahren hatte sie an der Schwebebahnstation Alter Markt mehrfach den rechten Arm gehoben und lautstark „Heil Hitler“ gerufen. Einweisungen in die Psychiatrie führten zum Drehtür-Effekt: Rein und wieder raus, ohne dass das etwas geändert hätte. Bewährungshelfer und gesetzliche Betreuer hatten längst das sprichwörtliche Handtuch geworfen. Den psychiatrischen Sachverständigen hatte sie nach kurzer Zeit aus der Wohnung geworfen, als der sie in einer anderen Sache noch vor der Inhaftierung hatte begutachten wollen.

Nur so viel konnte er offenbar in Erfahrung bringen: Verordnete Psychopharmaka werden mal in Mengen genommen und dann wieder gar nicht. Seelische Stabilität lasse sich so nicht herstellen. Und dennoch: Auch im psychiatrischen Sinne fällt die Angeklagte durch jedes Raster, eine Schuldunfähigkeit lässt sich nach den üblichen Kriterien offenbar nicht feststellen. Ob die Angeklagte verstanden hat, was diese Begutachtung für sie bedeutet? Wohl kaum – denn nun war es der Psychiater, an dem sie sich abreagierte. Er wisse nicht, wie mit den Flüchtlingen in Deutschland umgesprungen werde. Sie habe das im Knast gehört und im Fernsehen gesehen.

Und dann ging die Spirale auch schon wieder los, inmitten derer sich die 64-Jährige in Rage redete. Nur eben mit umgekehrten Vorzeichen: Seit sie hinter Gittern sitzt, sind diejenigen die Guten, die sie früher mit ihren Nazi-Parolen angegriffen hat.

Fast scheint es so, als seien die Inhalte beliebig – je nachdem, wie die Lebensumstände gerade so sind. Eine ausgereifte politische Gesinnung lässt sich nirgendwo festmachen. Allenfalls der unkontrollierte Drang, provokante Äußerungen an beliebige Worthülsen zu knüpfen, die strafbar sind. „Da genügt ein Wort und die Sache wird zur Straftat“, wandte sich die Richterin in einem von vielen verzweifelten Versuchen an die Einsichtsfähigkeit der Angeklagten.

Am Ende war klar: Die Sozialprognose ist schlecht, und die Aussetzung zur Bewährung der zuvor verhängten Haftstrafe von sieben Monaten nicht möglich. Weil das wirre Geplapper inklusive „Nazischwein“ und „Judenhure“ in mehrere Bewährungsstrafen gefallen war, kommen – die Vorstrafen eingerechnet – nun mehr als zwei Jahre Haftzeit zusammen.

Von der Richterin auf die Notwendigkeit einer Therapie angesprochen, war von der Angeklagten zu hören: „Eines kann ich Ihnen sagen: Ich werde nie wieder ein Nazi. Ich werde alle Nazis hassen.“ Am Ende bleib für Prozessbeobachter der Eindruck, es hier mit einer so genannten „Systemsprengerin“ zu tun haben: Also mit jemandem, der in keine Schublade passt und der das System an seine Grenzen bringt.

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