Prozess vor dem Amtsgericht Wuppertal Ein Schädelbruch, ein angebliches Video und viele offene Fragen

Wuppertal / Gevelsberg · Seine Partys waren legendär. Man traf ihn meist gut gelaunt, immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen. Er kickte als Amateurfußballer und half mit im Restaurant der Eltern. Bis zur verhängnisvollen Vorweihnachtsnacht 2017, die alles veränderte im Leben des Gastronomen. Vor dem Amtsgericht Wuppertal hat nun der Prozess begonnen.

 Das Wuppertaler Justizzentrum.

Das Wuppertaler Justizzentrum.

Foto: Dennis Polz

Nach dem Streit mit einem Gast lag der Wuppertaler damals vor einer Party-Location am Heckweiher bewusstlos in einer Blutlache auf der Straße. Herbeigeeilte Passanten leisteten dem lebensgefährlich Verletzten erste Hilfe, im Krankenhaus wurden später ein offener Schädelbruch und ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert. Der Streit, die Verletzungen und dann noch drei Wochen auf der Intensivstation: An all das kann er sich nicht erinnern. Dass solch eine Amnesie normal ist, dass er sich mit den Folgen seiner schweren Verletzungen einfach abfinden müsse – das erzählen ihm nun Psychiater, die ihn auch wegen seiner posttraumatischen Belastungsstörung behandelt haben. Dabei ist nichts mehr wirklich einfach im Leben eines Mannes, der vor Gericht unter Tränen sagt: „Ich will nicht sterben. Aber Spaß macht mir das Leben auch nicht mehr.“

Als Nebenkläger hört er nun von Zeugen, Polizeibeamten und Ärzten, was ihm damals widerfahren sein soll. Demnach soll er eine Partybesucherin lapidar gefragt haben, ob sie auch Lust auf Sex habe. Nichts wirklich Verwerfliches für Leute, die auf einer Party miteinander Spaß haben wollen. Er erinnert sich an nichts, aber er schließt so etwas für sich selbst auch nicht aus. Die Leute würden ihn so kennen – als „Lebemann“, immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen. Er sei ein Charmeur gewesen und keineswegs das, was derjenige über ihn sagt, der ihn damals mit Schlägen und Tritten auf die Intensivstation gebracht haben soll. Dessen Gewaltausbruch in jener Nacht könne er sich nicht erklären; er habe den Mann bis dahin nicht gekannt.

Der nun wegen Körperverletzung angeklagte 53-jährige Gevelsberger soll mit der Frau auf der Party gewesen sein, die später behauptet hatte, der Wuppertaler habe sie mit sexistischen Bemerkungen belästigt. Beide waren später am Deweerthschen Garten aufgegriffen worden: Die Frau torkelnd und mit mehr als einem Promille und ihr Begleiter mit einer blutenden Lippe. Dort sollte bereits das beginnen, was sich nun auch durch den Prozess zu ziehen scheint, der derzeit am Wuppertaler Amtsgericht läuft.

Dass der Wuppertaler sich selbst nicht mehr erinnern kann, schafft augenscheinlich viel Raum für Behauptungen, die bislang durch nichts bewiesen werden konnten. Es soll angeblich ein Video von der Prügelei geben, auf dem zu sehen sei, wie Frank E. den sich wehrenden Angeklagten „platt machen“ wolle. Irgendwer soll das Video gehabt haben, und andere wiederum sollen es gesehen haben. Anzusiedeln ist das wohl eher bei den sprichwörtlichen „Hörensagen“, von den danach befragten Zeugen wusste jedenfalls keiner Genaueres zu berichten.

Auch zu Grenzüberschreitungen hinein in die Privatsphäre soll es gekommen sein. Demnach soll der Angegriffene auf der Intensivstation unter Entzugserscheinungen gelitten haben und mit der Familie zerstritten gewesen sein. Nach dessen Entlassung soll ein Privatdetektiv in den Gasthof geschickt worden sein mit dem Auftrag, dort zu schauen, ob der sich damals in der Genesungsphase Befindliche dort schon wieder in der Küche stehe. Als Prozessbeobachter fragt man sich, was das alles zur Aufklärung eines Tatgeschehens beitragen kann, bei dem das Opfer am Ende einen offenen Schädelbruch zu beklagen hat, während der Angeklagte das Weite gesucht hatte.

Hatte die damals angeblich vom Wuppertaler sexistisch beleidigte Frau bei der ersten Begegnung noch gesagt, dass ihr nun auf der Anklagebank sitzender Begleiter mit in der Kneipe gewesen sei, als die anzügliche Bemerkung gefallen sein soll, so erklärte sie kurz darauf auf der Polizeiwache, dass sie ihm erst vor der Türe von der Sache erzählt haben will. Es wird nicht der einzige Widerspruch bleiben, mit dem sich das Gericht an diesem Verhandlungstag zu befassen hat.

Dass es zwischen dem Angeklagten und dem Angegriffenen danach eine verbale Auseinandersetzung gegeben hat, ist hingegen unbestritten. Auch dass der Wuppertaler inmitten des darauffolgenden Gerangels den 53-Jährigen Gevelsberger mit einem Schlag an der Lippe verletzt haben soll, bestreitet er nicht. So zumindest hatten es drei unbeteiligte Zeugen später den Ermittlungsbeamten und nun auch dem Gericht geschildert. Alle drei hatten jedoch auch ausgesagt, dass der hilflos am Boden liegende und bereits aus den Ohren blutende Gastronom vom Angeklagten weiterhin mit Tritten und Schlägen traktiert worden sei.

Und dann war da dieser Zeuge aus Bielefeld, er war vom Angeklagten selbst um seine entlastende Zeugenaussage gebeten worden. Ob man im Vorfeld miteinander über das Tatgeschehen gesprochen habe? Immerhin seien seit der Tat in besagter Nacht mehr als zwei Jahre vergangen. Und wenn man eine 300 Kilometer weite Anreise in Kauf nehme, um als Entlastungszeuge zu fungieren, müsse man aus Sicht des Gerichts auch etwas zur Aufklärung beitragen können. Die Abläufe abgesprochen? Ach woher, welch ungehörige Unterstellung des Staatsanwaltes. Er würde lügen wie gedruckt? Wie kommt ein Nebenklageanwalt nur dazu, so etwas von ihm zu behaupten. Er habe nun mal gesehen, wie der Wuppertaler den Angeklagten angegriffen habe, und dabei sei der Gastronom rückwärts gegangen. Rückwärts gegangen? Als Angreifer?

Am Ende drohte sich der von der Verteidigung des Angeklagten in den Zeugenstand gerufene Entlastungszeuge um Kopf und Kragen zu reden. Dass dessen Auftritt nicht zu einer Posse wurde, war der Konsequenz von Amtsrichterin Annette Spormann zu verdanken. Mit beeindruckender Akribie versuchte sie, das Tatgeschehen aufzuklären. Immer wieder hakte Spormann nach, um sich ein lückenloses Bild der Abläufe in jener Nacht zu Heiligabend 2017 zu verschaffen.

Derweilen kämpfte der Wuppertaler sichtlich mit den Belastungen eines solchen Verhandlungstages. Seitdem er damals niedergeschlagen wurde, könne er sich kaum konzentrieren und nur noch auf einem Ohr hören. Ein solcher Prozess sei für ihn ein „strapaziöser Marathon“ – und noch ist der nicht vorbei. Das Gericht will in der kommenden Woche weiter verhandeln.

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