Jens Kalkhorst, seines Zeichens künstlerischer Leiter des Theaters, führt selbst Regie. Und wie das so ist bei Uraufführungen, setzt man automatisch Maßstäbe.
Kalkhorst und sein Team (bis auf Geschäftsführer David Meister alles Ehrenamtliche) haben den Spielzeitbeginn und „Jessi“ üppig ausgestaltet. Das Bühnenbild ist opulent und sehr passend. Lob an Flori Schöpp, Max Steimel, Grey Keller-Nagy und Heiko Siedenbiedel! Das Stück handelt von einem Pärchen mittleren Alters, das einen YouTube-Kanal mit dem Namen „Der achte Sinn“ betreibt. Lila (Daniela Stibane) und Nick (Moritz Dee) beobachten und kommentieren übernatürliche Phänomene. Zu diesem Zweck befinden sie sich gerade im Spukhaus der Familie Schneider. Dort hat vor vielen Jahren Katja Schneider ihre Kinder und ihren Mann sowie dann sich selbst umgebracht. Das jedenfalls behauptet Jessi (Svenja Dee), eine späte Erbin.
Sie ist auch bereit, im nächsten Film der Youtuber aufzutreten, die mit Kamera, Laptop und Messgeräten angereist sind, um Katjas Geist im Internet zu präsentieren. Dann spukt es wirklich, was selbst dem Publikum einen Schrecken einjagt. Jessi, die den Geisterjägern anfangs Bewunderung vorspielt, zeigt plötzlich ihr wahres Gesicht. An dieser Stelle soll nicht mehr verraten werden ...
Der Besuch einer Vorstellung lohnt sich nicht nur wegen des tollen Bühnenbildes, das das alte Wochenendhaus bis ins Detail darstellt. Sondern auch das Schauspielertrio ist grandios: Jessis Wandel vom lieben Schulmädchen zum Horrorwesen wird von Svenja Dee mit ausdrucksstarker Mimik und Körpereinsatz gespielt. Wie sie die Augen aufreißt und böse in den Zuschauerraum schaut, löst einen leichten Grusel aus.
Doch es geht in dem Stück noch um mehr als die vordergründige Horrorstory: Die „Midlife Crisis“ bei Männern bringt Moritz Dee glaubwürdig rüber. Seine entnervte Frau und Co-Moderatorin hat ziemlich unter ihm und seinen Launen zu leiden. Da wird sich so manche Besucherin an den eigenen Mann erinnern. Schwarzer Humor inklusive.
Die Produktion bietet, dem Thema Social Media entsprechend, zu Beginn eine immersive Reise zur Jagdhütte sowie später eine Bilderstory der Verstorbenen sowie einen Film von Lila und Nick (Schnitt: David Meister). Licht- und Soundeffekte (Mark Pham und Heiko Siedenbiedel) runden die gelungene Inszenierung ab, die mit Pause anderthalb Stunden dauert – und ein unerwartetes Ende bietet.
Taltontheater, Wiesenstraße 118, Telefon 0202 / 24 79 860. Karten und Infos auf www.taltontheater.de