„Eingeschlossene Gesellschaft“: Premiere im TiC Eine sehr, sehr andere Notenkonferenz

Wuppertal · Manchmal sagt ein offenes Ende mehr als tausend Worte. In dem Schauspiel „Eingeschlossene Gesellschaft“ von Jan Weiler wird sehr viel geredet. Doch die Inszenierung des Theaters in Cronenberg (TiC), die jüngst Premiere feierte, bietet ein unerwartetes, unkommentiertes Ende. Das Publikum kann sich also selbst überlegen, was davon zu halten ist.

Das TiC-Ensemble bei "Eingeschlossene Gesellschaft" sorgt für viel Nachdenklichkeit beim Publikum.

Foto: Martin Mazur

Aber der Reihe nach. Alles beginnt in einem Lehrerzimmer. Wer schon einmal in einem solchen war oder sogar einen Teil seiner Arbeitszeit dort verbringt, wird sich ohne Probleme vorstellen können, selbst dort zu stehen oder zu sitzen. Das Bühnenbild von Stefan Böhmer und Frank Fischer ist realitätsnah – mit ungespülten Tassen, vollen Tischen und unbequemem Mobiliar.

Teile des Lehrkörpers sind an einem Freitagmittag aus unterschiedlichen Gründen dort. Die Stimmung ist latent feindselig und kippt gänzlich, als Manfred Prohaska (Chris Jungbluth), ein Schülervater, dazukommt. Er möchte mit Herrn Engelhardt (Hans-Willi Lukas), einem Lehrer vom ganz alten Schlag, über die Lateinnote seines Sohnes Fabian sprechen. Dem fehlt nämlich genau ein Punkt in Latein für die Abiturzulassung. Doch der Pauker ist zu keiner Diskussion bereit.

Ganz im Gegenteil provoziert er – unterstützt von der bösartigen Frau Lohmann (toll gespielt von Beate Rüter) – den aufgebrachten Vater. Schließlich zieht der eine Waffe, nimmt alle Anwesenden als Geiseln und verlangt eine spontane Notenkonferenz für Fabian. Eine Stunde haben die sechs Lehrkräfte Zeit, den einen Punkt für Fabian zu finden.

Regisseurin Johanna Landsberg lässt die Zeit im Lehrerzimmer in Echtzeit (mit Pause) laufen. Dabei kommen die Lehrer auf der Bühne allesamt schlecht weg. Im Programmheft zum Stück ist zu lesen, dass Landsberg in ihrer Inszenierung ihre eigene Schulzeit Revue passieren lässt. Außerdem erfährt man, dass das Ensemble überwiegend aus echten Lehrern besteht. Wenn das mal kein Zufall ist! Denn das Stück, das nicht als Komödie bezeichnet wird, sondern wertfrei als Schauspiel, lebt von den Reibereien des Kollegiums, dem sehr unterschiedlich interpretierten Berufsethos der Einzelnen und der Unfähigkeit zum Konsens.

Und jeder hat Dreck am Stecken. Frau Lohmann verabscheut Schüler, insbesondere Schülerinnen – und ihre Kollegen gleich dazu. Engelhardt nimmt es mit der Ehrlichkeit nicht so genau, während Sportlehrer Mertens (Maximilian Leuchter gibt ihn rotzig) es nicht so mit der ehelichen Treue hat. Referendarin Schuster (Nina Jestel) lässt sich gern auf ihn und grundsätzlich auf verheiratete Männer ein: „Die geben sich Mühe und nerven nicht am Wochenende“. Heike Arndt (glaubhaft gespielt von Astrid Gottschalk) ist im Original ein Mann, der seine Kollegen ausspioniert.

In der TiC-Produktion hat Frau Arndt zwei Schüler dafür bezahlt, den Unterricht ihres Konkurrenten bei einer Beförderungsbeobachtung zu sabotieren. Chemielehrer Bernd Vogel (Niklas Schier) wird gemobbt, hatte heimlich Aktfotos von Schülerinnen der Foto AG kopiert – und aktuell einen hochgefährlichen Versuch im Labor laufen. Es ist schon fast eine philosophische Frage, wieso diese Personen die Macht haben, über die Zukunft von Jugendlichen zu entscheiden.

Fürs Publikum ist der Schlagabtausch zwischen den Lehrkräften lustig und nicht gedankenschwer. Die verbalen Angriffe gegeneinander, aber auch gegen Schüler („genetisches Gemüse“) und deren Eltern sind regelrechte Wortakrobatik. Dafür ist die Bewegung auf der Bühne sehr überschaubar. Die Figuren sitzen meist an ihren Plätzen, einige starren fast nur auf den Tisch oder in die Ferne, auch wenn sie sprechen. Die Distanz, die damit gezeigt wird, ist sogar unangenehm fürs Publikum. Geht es in deutschen Schulen wirklich so zu? Dürfen Eltern über Noten diskutieren? Was lehrt uns das Stück?

Fragen über Fragen, auf die das TiC keine Antworten liefert. Deshalb und wegen des spielfreudigen Ensembles ist dies eine sehenswerte Inszenierung, die für gute Unterhaltung und hinterher für eigene Überlegungen zum Thema sorgt.

Das Stück im TiC-Stammhaus an der Borner Straße 1 in Cronenberg dauert zwei Stunden mit Pause. TiC-Telefon: 0202 / 47 22 11. Termine und Tickets auf www.tic-theater.de