Banu und Till Schult Eine türkische Opernliebe in Wuppertal

Wuppertal · Etwas oberhalb der Wuppertaler Oper wohnt der ehemalige Intendant der Staatsoper Ankara. Und seine Frau, eine Opernchorsängerin, die in der Türkei als Mezzosopranistin arbeitete und schließlich ein privates Opernensemble führte. In ihrem ruhigen Häuschen erzählt das Ehepaar über die Einstellung zur klassischen Musik in zwei sich gerade immer weiter entfremdenden Ländern.

 Banu und Till Schult in ihrem Wuppertaler Zuhause.

Banu und Till Schult in ihrem Wuppertaler Zuhause.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Simone Bahrmann

Till Schult hatte immer den Wunsch, ins Ausland zu gehen, längst bevor er seine Frau in Koblenz kennen lernte. Als ihr gemeinsamer Sohn ein halbes Jahr alt war, eröffnete sich 2003 die Möglichkeit – die Türkei, die Stelle des Opernintendanten, in der Metropole Ankara. „Wir haben die Challenge angekommen“, sagt der heute 59-Jährige in Erinnerung an seine Zeit an der Oper, deren Grundriss in der Form eines Flügels erst aus dem Flugzeug in seiner ganzen Schönheit zu erkennen ist. Was für den deutschen Künstler das große Abenteuer bedeutete, war für sie Nachhausekommen: Banu Schult hatte in der Türkei Flöte studiert, Gesang in Wien – und nun nach 15 Jahren war sie wieder in ihrer Heimat, Ankara.

Till Schult lernte schnell den Geschmack des türkischen Publikums und seine Wertschätzung für den Kulturbetrieb kennen. „Sehr konventionell“, beschreibt er die Ausrichtung. Klassische, wunderschöne Kostüme, zurückhaltende Interpretation. Einmal hat er in einer Aufführung an einer Wäscheleine Schlüpfer aufhängen lassen. Und hinter der Bühne gebangt: Wie würde das Publikum auf diese Anzüglichkeit reagieren? Ein anderes Mal ließ er eine Szene aus der „Hochzeit des Figaro“ rückwärts aufführen. Sein Mut wurde beide Male durch langanhaltenden Beifall belohnt.

Während auf der Bühne die Klassiker geboten wurden, ratterte hinter der Bühne der Betrieb eines modernen Mega-Konzerns. Der türkische Staat finanziert einen Kulturbetrieb, der alle involvierten Professionen mit eigenen Abteilungen wertschätzt und seine Darsteller und Künstler wie Stars behandelt. Kultur als Wert der Gesellschaft, nicht nur hochgepriesen, sondern tatsächlich messbar durch Subventionen honoriert.

Während ihr Mann „La Bohème“ und andere Stücke inszenierte, lernte Banu Schult als Dozentin die türkische Liebe für die Klassik kennen. Und sie genoss das Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Unglaublich warmherzig empfand sie die türkischen Kollegen. Die Studenten liebten wie das Publikum die Klassiker, doch anders als an der Oper konnte Banu Schult in ihrer Rolle als Dozentin mit ihnen in Kontakt treten und sie austesten. Schnell stellte sie fest, dass die jungen Künstler auch humoristische Komponenten verstehen – und lieben lernen.

Am Ende ihrer Zeit in der Türkei wagten die Schults dann etwas Eigenes: Und tourten mit ihrem privaten Opern-Ensemble „Ars Nova“ durchs Land, um den Türken zu zeigen, wie komisch klassische Kunst sein kann.

Doch während tradierte Klassik großzügig gefördert wird, erfährt freche Kunst in der Türkei keine staatliche Förderung. Und irgendwann spürten die Schults, dass ihre Zeit dort nun zu Ende war. „Wie sollten wir weiter machen?“, formuliert sie rückblickend die Frage, die den Eltern eines Jungen, der mittlerweile die Grundschule besuchte, nicht aus dem Kopf ging. Sie entschieden sich, nach neun Jahren nach Deutschland zurückzugehen. Als „genau richtig“ empfindet sie nach der turbulenten und aufreibenden Zeit als selbstständige Kulturunternehmerin nun ihre Stelle als Opernchorsängerin. Und auch ihr Mann, der sich heute der Fotografie widmet, Hörbücher spricht und für die EU mit künstlerischem Sachverstand Kulturprojekte auf ihre Förderwürdigkeit prüft, fühlt sich wohl zurück in der Bundesrepublik.

Auch wenn beide Künstler die Generosität, die sie in Ankara erlebten, ein wenig vermissen. Kein Fahrer bringt hier einen Opernsänger zu seinem Konzert und erspart ihm die Parkplatzsuche. Und statt existenzsichernder Förderung kennen viele Künstler eher warme Worte und existenzielles Bangen. Dafür ist die Kunst hier frei, darf und soll kritisieren. Von Deutschland aus beobachten die Schults die sich verändernde Stimmung in der Türkei. An der Oper in Ankara spielen sie dort nach wie vor ihre traditionellen Stücke. Aber ob heute die Schlüpfer an der Leine in Ankara noch hängen dürften, daran zweifelt Till Schult.

Während das Leben der Schults sich ruhig eingestellt hat, drängt ihr Sohn in die Welt. Der 17-Jährige spielt in der Bundesliga Basketball. Wenn er hier keine Karriere machen kann, wird er Astro-Biologe oder Pilot. Irgendwie scheinen die Schults über den Dingen zu stehen ...

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort