Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Wem die Stunde schlägt

Wuppertal · Vor zwei Wochen war Steffen Freund im Fernsehen Co-Kommentator der Partie der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Nord-Mazedonien. An den früheren Mittelfeld-Mann erinnern sich nur noch Experten und Fans mäßig gelungener Vokuhila-Frisuren.

 Roderich Trapp.

Roderich Trapp.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Max Höllwarth

Jetzt hat er seine Bekanntheit aber wieder sprunghaft gesteigert, weil er bei besagtem Spiel angesichts der Zeitlupe eines Fouls mit Verletzungsfolgen sagte, Frauen sollten da bitte wegschauen. Anschließend wurde er dafür mit Sexismus-Vorwürfen überhäuft.

Das zeigt uns zweierlei. Erstens: Freund verfügt wie schon als Aktiver so auch als Kommentator über eine eher grobschlächtige Spielanlage. Und zweitens ist die Sensibilität der Menschen im Hinblick auf herabsetzende Formulierungen eindeutig enorm gewachsen. Das gilt übrigens genauso für nicht gendergerechte Wort-Konstruktionen, die das männliche Geschlecht einseitig bevorzugen. Deshalb sollten wir auch nicht davor zurückscheuen, viele etablierte Titel und Inhalte von Werken der Weltliteratur, Musikstücken und Filmen nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern endlich auch den Mut finden, sie im Bedarfsfall zu ändern.

Nehmen Sie zum Beispiel Herman Melvilles Roman-Klassiker „Moby Dick“. Was hat der Mann sich dabei gedacht, den weißen Wal so bloßzustellen? Die nächste Auflage wird daher unter dem angepassten Titel „Moby Adipös“ veröffentlicht.

Karls Mays Gesamtwerk müssen wir im Hinblick auf Winnetou, den Häuptling der Apatschinnen und Apatschen durchforsten. Und Fjodor M. Dostojewskis „Der Idiot“ ist natürlich komplett indiskutabel. Den sollten wir achtsam als „Der Verhaltenskreative“ in die Reihe der großen Epen der russischen Literatur wiedereingliedern.

In Musik und Film scheint der Handlungsbedarf noch größer. Cindy & Bert werden in den Hitlisten künftig mit „Aber am Abend, da spielen Angehörige der Volksgruppe der Sinti und Roma“ geführt. Olaf Henning wird auf den Ballermann-Bühnen stehen und mit dem Promille-Publikum im Chor singen: „Komm hol das Lasso raus, wir spielen Cowboy und amerikanischer Ureinwohner.. Und im zweiten Programm wird sonntagnachmittags mangels zeitgemäßen Filmmaterials zum 214. Mal Heinz Erhardts beliebte Komödie „Immer die Radfahrenden“ wiederholt.

Im Übrigen ist mir auch aufgefallen, dass viele Werke heute möglicherweise gar keine Credibility mehr hätten. „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ kann doch niemand mehr ernsthaft für bare Münze nehmen. Richtig wäre: „Wenn der Postmann keinmal klingelt, aber die Benachrichtigung in den Briefkasten wirft, dass er niemand angetroffen hat.“ Ernest Hemingway hätte 2021 nur noch „Der alte Mann und die Pflegestufe“ geschrieben. Und die Liebe von Scarlett O‘Hara und Rhett Butler würde im 21. Jahrhundert garantiert „Vom Starkwinde verweht“. Ganz abgesehen von Friedrich Schiller, der sein größtes Drama zwangsläufig über „Die Räuber:innen“ schreiben müsste.

Wo vorhin das Stichwort Hemingway fiel, fällt mir übrigens ein: Von dem könnte man dieses Wochenende gut „Wem die Stunde eine Stunde später schlägt“ lesen. Denn heute Nacht ist ja Zeitumstellung. Oder Moment: Schlägt sie nicht doch eine Stunde früher? Verdammt, jedes Jahr dasselbe ...

Bis die Tage!

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