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Bergische Uni Wuppertal: Über Pappmöbel und nachhaltiges Denken

Bergische Uni : Über Pappmöbel und nachhaltiges Denken

Was bedeutet es eigentlich, wenn wir über nachhaltige Produkte sprechen, und warum wird der Begriff der Nachhaltigkeit immer wichtiger? „Nachhaltigkeit entsteht, wenn Funktionalität und Kreativität auf Akzeptanz trifft“, berichtet Christa Liedtke in den Bergischen Transfergeschichten.

Sie ist außerplanmäßige Professorin in der Fakultät für Design und Kunst an der Bergischen Universität Wuppertal und Leiterin der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren am Wuppertal Institut. Eines dieser nachhaltigen Produkte, die scheinbar den Zeitgeist treffen und mehr und mehr Nutzerinnen und Nutzer ansprechen, sind Pappmöbel, die mit unseren klassischen Vorstellungen von Möbeln durchaus mithalten können. Gefertigt aus Wellpappe und Altpapier überzeugen diese Möbel durch ihre Stabilität – und auch ihr Recyclinganteil in Herstellung sowie in der Entsorgung ist sehr hoch.

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ hat längst auch Eingang in die Online-Nachschlagewerke von heute gefunden. Bei Wikipedia ist von einem „Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung“ die Rede, „bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme (vor allem von Lebewesen und Ökosystemen) gewährleistet werden soll“.

Und die Expertin Christa Liedtke erläutert: „Um mittel- bis langfristig eine treibhausgasneutrale und ressourcenleichte Gesellschaft zu erreichen, ist eine umfassende ,Dematerialisierung‘ von Produktion und Konsum notwendig – ,mit weniger mehr Nutzen schaffen‘ ist die Zukunftskunst und transformative Gestaltungsaufgabe. Auf diese Weise werden Produkte und ganze Dienstleistungssysteme wie unsere Mobilität ,ressourcenleichter‘. Sie lassen sich beispielsweise länger und besser nutzen, wieder- und weiterverwerten, reparieren und vieles mehr. Das ist auch eine Frage des Designs.“

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Pappmöbel seien dann nachhaltig, wenn sie Ressourcen und Energie sparen, langlebig und funktional sind. „Nutzenstiftung gepaart mit Ressourceneinsparung ist der Schlüssel zur nachhaltigen Wirtschaft und einem guten Leben.“ Das gehe nur über die Verbindung nachhaltiger Produktions-  mit Konsumweisen – Design als Mittler zwischen beiden Welten werde damit zu einem ausschlaggebenden Faktor für die Transformation und Gestaltung unserer Zukunft.

„Wenn ich von einer Nutzenstiftung ausgehe, müssen Pappmöbel bequem und ästhetisch sein und ihre Funktion erfüllen, ich sollte sie gerne nutzen und ausprobieren“, sagt Liedtke. „Die Funktionalität und Ästhetik sind die wichtigsten Voraussetzungen, um Akzeptanz zu schaffen. Das ist nachhaltig, aus meiner Sicht! Nutzen stiften mit möglichst wenig Ressourcen, also zur Entkopplung von Wohlstandsschaffung und Ressourcenkonsum beitragen. Für Pappmöbel ist ein multifunktionales Design denkbar und dies ist gerade in Bereichen wie Messebau, Ausstellungen oder Events von hoher Bedeutung.“

Nachwachsende Rohstoffe auch für den Bau- und im Möbelbereich

Wie bei jeder Gestaltungsaufgabe müssen, auch bei der Gestaltung von Möbeln, viele Aspekte stimmen, um ein nachhaltiges Produkt zu schaffen. Idealerweise gelinge es, etwas aus wenigen Ressourcen zu erschaffen, das viele Jahre lang mit Freude genutzt werde, Wert und Nutzungsformen kommuniziere und dessen Rohstoffe für weitere Nutzungszyklen erhalten blieben. „Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen sind im Bau- und im Möbelbereich eine wichtige Komponente. Holz und auch Papier/Pappe sind Optionen, die ich langlebig und reparierbar gestalten und wenn der Nutzen verloren gegangen ist, in den Kreislauf zurückführen kann.“

Unabhängig von Konkurrenzprodukten aus Metallen oder Textilien, die genauso in Form oder Art und Weise wie Pappe funktionieren könnten, komme es am Ende immer darauf an, dass sich der ökologische Rucksack minimiere und Gefahrstoffe vermieden werden. Dazu gehöre auch die Frischfaserzufuhr möglichst zu minimieren und die im System vorhandenen Fasern möglichst optimal über vielfache Zyklen zu nutzen.

„Am Wuppertal Institut sprechen wir hier von ,Material Input per Service Unit‘. Damit gehen wir vereinfacht gesagt der Frage nach, wie viel Material wir aufwenden müssen, um einen bestimmten Service zu erreichen. Wir nennen das den ökologischen Rucksack eines Produktes oder eines Services – der ist umso kleiner, je geringer der Materialeinsatz im Lebenszyklus und je höher die Anzahl der Serviceeinheiten ist. Sekundärfasern sparen viel Energie, Holz, Logistik und Wasser ein und entlasten den Wald. Durch diesen geringeren Materialinput (MI) und durch Langlebigkeit, Robustheit und Multi-Funktionalität kann eine hohe Zahl an Serviceeinheiten (hohes S) abgerufen werden. Ein wichtiger Nachhaltigkeitsaspekt sind dabei Fragen des Recyclings.“

Liedtke fragt daher: „Wie viel wiederverwendetes Material kann eingesetzt werden? Bleibt das Material für weitere Anwendungen verfügbar? Und wie muss das Produkt gestaltet sein, sodass es auch wirklich wiederverwendet und fachgerecht entsorgt wird?“

Designerinnen und Designer können immer umdenken

Pappmöbel spielen bspw. im Messe- und Ausstellungsbereich eine große Rolle, aber auch junge Menschen setzen im privaten Umfeld mehr und mehr auf dieses potenziell nachhaltigere und vor allem leichte Material. „Designerinnen und Designer können immer umdenken“, sagt Liedtke, denn die Gesellschaft sei eigentlich immer in Veränderung und Bewegung. „Es ändern sich stetig Bedürfnisse und Bedarfe. Und die im Einklang mit der Natur zu gestalten und zu vermitteln, was in diesen Produkten enthalten ist, das ist dann auch eine Form von ermöglichter Akzeptanz.“

Produkte aus Pappe können verschiedene Geschichten erzählen, ein und dasselbe Material kann uns vermitteln, dass es eine günstige Notlösung oder aber, dass es die ressourcenleichtere Variante seiner Konkurrenzprodukte sei. „Ich bin in der Generation groß geworden, wo selbstgestrickte Wollsocken und Ökoschlappen die ökologische Einstellung transportierten“, sagt Liedtke, „heute sind wir gestalterisch in allen Produkt- und Servicewelten zu Hause und in Bewegung – das ist ein unerschöpfliches Potenzial für eine Um- und Neugestaltung, die uns und den Menschen Spaß macht. Wir benötigen also viele Designerinnen und Designer und deren Kompetenzen, um dieses Potenzial für die Nachhaltigkeit zu heben“, erzählt sie.

Menschen hätten immer schon durch ihre Haltung und einen bestimmten Habitus die Geschichte der Nachhaltigkeit miterzählt. In Bezug auf die Pappmöbel gäbe es zudem eine interessante Entwicklung, denn eine Gesellschaft könne sich auch Material aneignen und in Reallaboren vielen Menschen erschließbar machen.

Auch der Messe- und Ausstellungsbereich habe bspw. dazugelernt. Früher seien Unmengen an Material regelmäßig entsorgt worden. „Seit einigen Jahren ist man dabei, auch Ausstellungssysteme und Möbel zu konstruieren, die zusammenklappbar, schnell auf- und abbaubar und funktionserfüllend sind, die gleichzeitig als Regal und als Sessel dienen können. Mit dieser Flexibilität wird dann natürlich auch das zu verkaufende Produkt in Szene gesetzt.“ Das Material trete so in den Hintergrund und Pappe sei da hervorragend geeignet, weil man ganz unterschiedliche Formen damit gestalten und experimentieren könne.

Produkte müssen sich selbst erklären

Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein sind heute wichtiger denn je. Aber wie informiere ich nun die Menschen, ohne sie ständig zu belehren? „Es muss in die Kontextur der Produkte eingewoben sein, wie ich ein Produkt oder eine Dienstleistung nutzen kann und wie es möglicherweise nachhaltiger ist oder auch nicht“, sagt Liedtke, denn keiner möchte in jedem Lebensbereich immer wieder aufgeklärt werden. „Ein Produkt muss in seiner Funktion und Handhabung selber seine Werthaltung und Geschichte erzählen. Verbraucherinformationen müssen sich in den Funktionsablauf einbetten, damit sie Handlungsentscheidungen unterstützen können. Das ist eine Grundkonstellation, die wir viel mehr befördern sollten, um Informationen erschließbar zu machen, damit ich keine Gebrauchsanweisungen oder dicke Bücher lesen muss, um den Nachhaltigkeitswert zu verstehen.“

Dazu gehöre auch, dass das Trennverfahren von Produkten vereinfacht werde, denn Nutzende steigen manchmal nicht mehr durch, wie welches Material zu trennen und zu entsorgen sei. „Design kann hier ganz andere Lösungen entwickeln, die Umwelt und Haushalte weniger belasten und den Fokus wieder auf die hohen Ressourcenverluste in Produktion und Konsum lenken wie zum Beispiel die Lebensmittelverschwendung oder Kurzlebigkeit von Mobiliar, Textilien und von Informations- und Kommunikationstechnik“, fordert die Wissenschaftlerin.

Hier wird Nachhaltigkeit zum Programm – auch im Bergischen

Damit sich Produktions- und Konsummuster ändern, sind Unternehmen gefragt, die entsprechende Produkte und Dienstleistungen entwickeln und anbieten. In der Werbung und der Öffentlichkeitsarbeit informierten schon viele an Nachhaltigkeit und Klimaneutralität interessierte Firmen ihre Partner und Kundinnen und Kunden, erklärt Liedtke. „Es gibt auch Möglichkeiten, sich über Unternehmen zu informieren, die beim deutschen Nachhaltigkeitskodex oder der EMAS-Zertifizierung mitmachen. Auch der deutsche Nachhaltigkeitspreis zeigt auf, welche Unternehmen und Kommunen sich bereits engagieren. Schon seit 1984 setzt sich das „Netzwerk für nachhaltiges Gestalten B.A.U.M.“ für umweltbewusstes Wirtschaften mit nun über 700 Mitgliedern ein – es gibt viele solcher guten Beispiele.

Auch im Bergischen Städtedreieck sind viele Unternehmen aktiv – die Neue Effizienz, die Bergische Universität, die FGW und unser Institut, unter anderem mit „bergisch.metall“. Auch die Initiative Circular Valley zeigt, wie sich die Region aufstellt und immer wieder neu erfindet. Das sind nur zwei Beispiele von wirklich vielen in der Region. Das macht das Forschen hier so interessant, denn Entwicklung und Umsetzung liegen nah beieinander!“ Kontakte zu Vereinen und Unternehmern, die entsprechende Entwicklungen anstoßen, bestehen in ihrer Abteilung am Wuppertal Institut schon lange und auch im Handwerksbereich gäbe es entsprechende Initiativen. „Inzwischen gibt es viel Bewegung im System“, freut sich die Forscherin.

Lieferketten nachverfolgen

Ein nachhaltiges Verhalten bedingt auch immer ein vorheriges nachhaltiges Denken und das sei eine der größten Herausforderungen, weiß Liedtke. „Aus meiner Perspektive des nachhaltigen Produzierens und Konsumierens kann ich sagen, dass sich häufig nur ein Segment der Gesellschafts- oder Wirtschaftsprozesse angeschaut wird, nämlich das eigene, nicht aber die gesamten Lieferketten.“

Das sei auch eine Menge Arbeit, die man nicht jedem Unternehmen in aller Differenziertheit zumuten könne, aber ein Check dessen, sei in jedem Betrieb machbar. „Wir merken, dass es bspw. im Bergischen Städtedreieck hervorragende Unternehmen im metallverarbeitenden und -bearbeitenden Bereich gibt, aber auch in anderen Branchen, die sich bezogen auf Effizienz schon sehr gut aufstellen, die Prozesse sehr gut im Griff haben und auch schon langjährig daran arbeiten.“

Diejenigen, die sich bisher sehr wenig damit befasst hätten, gelte es, zu erreichen. Das sieht Liedtke als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, wenn Kreislaufsysteme integriert werden sollen und sagt: „Die Herausforderung für die Zukunft ist es, zu vermitteln, dass jedes einzelne Unternehmen einen wichtigen Beitrag im nachhaltigen Wertschöpfungsprozess leisten kann, und wir brauchen jedes davon an Bord, sonst funktioniert es nicht. Außerdem sei die EU-Taxonomie eine Herausforderung für den Mittelstand, die es für die Positionierung und Profilierung aktiv zu nutzen gilt.”

Aber sie würde nicht zum Thema nachhaltiges Produzieren und Konsumieren forschen, wenn sie nicht auch die Haushalte und Verbraucherinnen und Verbraucher im Fokus hätte – diese spielten eine wichtige Rolle in der Gestaltung von und der Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen aus der Region für die Region.

Auf ein bergisches Beispiel eines gelungenen, nachhaltigen Produktes angesprochen, sagt die Wissenschaftlerin abschließend: „Da fällt einem doch direkt die Schwebebahn ein, die uns seit Jahren eine staufreie Mobilität bietet, oder?“ Ein perfektes Beispiel für eine nachhaltige Mobilität ist das Wuppertaler Wahrzeichen sicher allemal.