Bergische Gehörlosengemeinde Mit Augen hören und Händen reden

Wuppertal · Seit knapp einem Jahr ist Verena Kroll Pfarrerin der Bergischen Gehörlosengemeinde. Zum „Tag der Gebärdensprache“ (23. September) gab sie Einblick in einen Job, in dem sie mit den Händen redet und den Augen hört.

Pfarrerin Verena Kroll.

Foto: Dirk Banse

Die knallblaue Brille ist ihr Markenzeichen und gehört nicht nur zu ihrem Gesicht, sondern auch zu ihrem Namen. Denn in der Gebärdensprache bekommt man einen eigenen Gebärdennamen verliehen. Und so ist Verena Kroll „das blaue V“. Und das, betont sie, wird immer so bleiben, auch wenn sie mal ihre Brille wechseln sollte. „Wenn Gehörlose gebärden, ist es viel zu umständlich, immer den ganzen Namen zu buchstabieren“, erklärt sie. „Also geben sie den Menschen, die sie kennen, einen Gebärdennamen.“ Der besteht meist aus einer besonderen Auffälligkeit oder Eigenschaft.

Seit knapp einem Jahr ist Verena Kroll Pfarrerin der Bergischen Gehörlosengemeinde, die sich im Wuppertaler Gemeindezentrum Am Röttgen im Stadtteil Uellendahl trifft. Sie feiert mit den rund 200 Mitgliedern aus den Kirchenkreisen Wuppertal, Niederberg und Düsseldorf-Mettmann regelmäßig Gottesdienste, organisiert Familienfreizeiten und ist auch als Seelsorgerin für sie da. Da sich die meisten Gemeindeglieder in Gebärdensprache verständigen, war für Verena Kroll klar, dass sie diese Sprache lernen muss und möchte.

Schwierig, aber schön: die Gebärdensprache

„Es ist eine wunderschöne, lebendige und visuelle Sprache, die es wert ist gelernt zu werden“, sagt sie. Jede Woche nimmt sie drei Stunden Unterricht bei einem Gebärdendozenten, der selbst gehörlos ist. „Es ist gut und wichtig, dass ich das Gebärden von einem Lehrer lerne, der diese Sprache als Muttersprache spricht.“ Denn so hat sie die Chance, nicht nur die Sprache, sondern auch den Alltag gehörloser Menschen kennenzulernen und in ihre Welt einzutauchen. Täglich übt sie ein bis zwei Stunden – und befindet sich inzwischen fast auf dem Sprachniveau B2.

„Die Grundvokabeln und die Grundkenntnis der Grammatik beherrsche ich jetzt, aber natürlich mache ich noch viele Fehler und rede mit den Händen längst nicht so schnell wie Gehörlose“, erzählt Verena Kroll. Doch ihre Gemeinde ist geduldig und nimmt manche „Versprecher“ mit Humor – etwa, wenn sie in einer Predigt die „Ewigkeit“ als „Vergangenheit“ gebärdet. Jüngere Mitglieder der Gemeinde machen sie direkt darauf aufmerksam, ältere sind da deutlich zurückhaltender. „Sie haben gelernt, sich ständig der hörenden Mehrheitsgesellschaft anzupassen und gehen viel verschämter mit ihrer Einschränkung um.“

Ein Gewinn in der Kommunikation

Jüngere Gehörlose seien selbstbewusster und erwarteten, dass sich die Gesellschaft auch ihnen anpasse. Verena Kroll findet das richtig. „Die Gebärdensprache ist ein echter Gewinn in der Kommunikation“, betont sie. „Man schaut seinem Gegenüber dabei in die Augen und nimmt den Menschen genau wahr. Man hört dort mit den Augen und redet mit den Händen.“

Dass die Gebärdensprache nicht als Minderheitensprache anerkannt ist und in keiner allgemeinbildenden Schule unterrichtet wird, ist für die Theologin nicht nachvollziehbar. Überall werden Dolmetschende gebraucht, die seit Einführung des Bundesteilhabegesetzes auf Ämtern, im Gesundheitswesen und in Schulen angefordert werden können. „Teilweise wird das bezahlt, aber oft müssen Gehörlose es auch selbst finanzieren.“

Ein Alltag mit vielen Hürden

Bei vielen Familien erlebt sie hautnah mit, was es im Alltag bedeutet, wenn zermürbende Auseinandersetzungen mit Behörden um Unterstützung im Alltag, um Hilfsmittel, Schul- und Ausbildungsplätze geführt werden müssen. „Da gibt es viele Belastungen und Ängste, die oft deutlich existenzieller sind als bei Menschen ohne Beeinträchtigungen.“

Sie möchte dazu beitragen, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft mitgedacht werden und das Miteinander selbstverständlicher wird. Dass das möglich ist, sieht Verena Kroll an ihren Kindern, die begeistert mit ihr die Gebärdensprache lernen und keinerlei Berührungsängste haben.

„Meine dreijährige Tochter Marisa ist so stolz auf ihren Gebärdennamen, den die Gehörlosengemeinde ihr gegeben hat, dass sie ihn auch in ihrer Kita präsentiert hat“, berichtet Verena Kroll. Es sei eine sehr einfache Geste, lacht sie: „Marisa hat immer etwas zu sagen. Deshalb bekam sie den sich meldenden Zeigefinger verliehen.“