Großartig inszeniert von Jenke Nordalm zeigt das zehnköpfige Ensemble eine fesselnde Bühnenfassung des gleichnamigen, verstörenden 1998er-Kinofilms aus Dänemark. Die Bühne (Vesna Hiltmann) mit gigantischem Speise-Stillleben und riesiger Fest-Tafel, die später zusammenbricht, droht düster in den Zuschauerraum. Vor diesem Hintergrund spannt sich der Bogen vom Nachmittag des ersten bis zum Morgen des zweiten Tages im Hotel von Familienvater Helge (Stefan Walz). Der hat zur Feier seines 60. Geburtstages seine ganze Familie um sich versammelt.
Wie harmlos das alles beginnt. Man mag ihn fast ein bisschen, diesen Helge mit seinen dümmlichen Witzen. Und doch: Viele verdeckte Spannungen sind gleich spürbar. Was aber erst noch einer ganz „normalen“ Familienfeier ähnelt, implodiert schnell. Christian (Alexander Peiler), der älteste Sohn, enthüllt bei seiner Geburtstagsrede ein grässliches Geheimnis: Der Vater hat Christian und dessen Zwillingsschwester Linda, die angeblich später Selbstmord beging, als Kinder regelmäßig vergewaltigt. Bei seiner zweiten Ansprache bezichtigt Christian den Vater außerdem des Mordes an Linda. Eisiger Hauch im Opernhaus. Auch über die Pause hinweg im zweiten Teil.
Dem Wuppertaler Ensemble gelingt hier eine darstellerisch glänzende Leistung, die lange im Gedächtnis bleibt. Stefan Walz spielt grausig-groß – leugnet, will sich an nichts erinnern, macht den Sohn, dem er immenses Leid angetan hat, weiterhin klein. Alexander Peiler hält dagegen, lässt (Alkohol hilft dabei) Licht ins Dunkel, zerbricht erneut. An diesen Männern und ihrem ungleichen Kampf hängt das Stück.
Und doch: Die anderen stehen ihnen kaum nach. Konstantin Rickert als jüngerer Sohn Michael – ein frauenschlagender, rassistischer Opportunist. Verloren auch er. Silvia Munzón López ist seine in der Ehe vergewaltigte sowie betrogene Frau – eine unheilbare Schönfärberin. Julia Meier als jüngere Schwester Helene – fragil und mit einem „Daddy“-Song, der frösteln lässt. Paula Schäfer ist die liebessehnsüchtige Kellnerin, Opfer der Männer. Und in ihrer zweiten Rolle als tote Schwester Linda aus dem Jenseits ganz intensiv.
Thomas Braus, „Toastmaster“, quasi Moderator des Festes – aasig-aalglatt, dem Hausherrn hinterher schleimend. Julia Wolff als Helges Ehefrau hält die Fassade hoch, reißt sie aber am Ende wortlos ein. Selbst Kevin Wilke, dem seine Rolle als Oberkellner nicht viel Raum gibt, glitzert verbittert. Und Celine Hambach (zuletzt sehr stark in „Name: Sophie Scholl“) als Helenes englischsprachige Geliebte bringt die Draußen-Welt in dieses düstere Loch. Und ein dickes Stück Ehrlichkeit.
Ja, „Das Fest“ handelt von Schrecklichem – und vom Schweigen darüber. Es ist wie Zuckerguss auf altem Kuchen: Erst schmeckt er nur trocken, dann eklig. Aber wer wirklich feingetuntes Ensemble-Theater sehen will, das keine Sekunde lockerlässt, der geht hinein in dieses „Herz der Finsternis“.