Wuppertaler Oper Meditativ, karg – und sehr stark

Wuppertal · Zum Schluss der Spielzeit zeigt die Oper eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Produktion: „Thumbprint“ (= Daumenabdruck) erzählt darstellerisch und musikalisch intensiv die wahre Geschichte der pakistanischen Frauenrechtsaktivistin Mukhtar Mai aus dem Jahr 2002.

Sharon Tadmor in der Rolle der Mukhtar Mai – gelehnt an Sergio Augusto als ihr Bruder Shakur.

Foto: Bettina Stöß

Keine schöne Geschichte ist das. In der extrem traditionellen und patriarchalen Gesellschaft, um die es geht, wird dem Bruder von Mukhtar (wie sich später zeigt, zu Unrecht) vorgeworfen, sich an einem Mädchen der mächtigsten Dorffamilie vergriffen zu haben. Um Vergebung dafür bitten – bei dieser Familie – muss eine Frau. Mukhtar nimmt das auf sich, begleitet von ihrem Vater. Aber sie wird, mit Billigung des Dorfältesten, von vier Männern vergewaltigt, ihr Vater mit Waffengewalt gehindert, ihr zu helfen. Gezeigt wird nichts von diesem Geschehen: Die Bühne ist dunkel, zu hören nur Atmen.

Nach einem Traditionsmuster, das übelster Täter-Opfer-Umkehr gleicht, gilt eine vergewaltigte Frau als unrein. Um ihre Schande zu tilgen, wird erwartet, dass sie sich umbringt. Mukthars Mutter und dem Dorf-Imam gelingt es, das Mädchen davon abzubringen. Sie zeigt die Täter an.

Mit Erfolg: Die Vergewaltiger werden zum Tode verurteilt, Mukhtar erhält eine hohe Entschädigung. Mit der gründet sie eine Schule, wo Mädchen lesen und schreiben lernen – damit sie nicht mehr mit ihrem Daumenabdruck unterschreiben müssen.

Was Komponistin Kamala Shankaram und Librettistin Susan Yankowitz aus diesen Ereignissen, die seinerzeit für weltweite Medienöffentlichkeit sorgten, gemacht haben, passt in 90 Minuten. Für die von Katharina Kastening als deutsche Erstaufführung stark inszenierte Kammer-Oper nimmt das Publikum auf der Opernhaus-Bühne Platz. Ein karger Ort. Der aber mit der einfachen sowie genialen Idee eines deckenhohen Gespinstes von Stoffwülsten (Bühne: Bettina John-Taihuttu) punktet, das die Last der Traditionen symbolisiert.

Das fünfköpfige Ensemble fesselt – eindringliche, oft rezitative, aber auch weiträumige Stimmen. Die junge Sharon Tadmor singt mit anrührendem Sopran nur ihre Mukhtar-Rolle, alle anderen sind mehrere, auch sehr unterschiedliche Personen. Weich und doch kraftvoll Banu Schult als Mutter. Ängstlich einerseits, zupackend andererseits Oliver Weidinger – mal als Vater, mal als Richter. Doch auch Merlin Wagner, Sergio Augusto und Nihal Azak stehen kein bisschen zurück.

Auf der Bühne fügt sich das zu einem emotional packenden Klangkörper, dem man gebannt lauscht. Und passt damit optimal zu den am Kopfende der Bühne platzierten wenigen Mitgliedern des Sinfonieorchesters, die von einem traditionellen Trommelspieler ergänzt werden. Die Musik (Leitung: Bonnie Wagner), die zwischen Hindustani- und Europa-Elementen changiert, webt einen dichten, teilweise sogar meditativen Teppich.

Wer in der Oper die leichtfüßige Unterhaltung sucht, wird hier nicht glücklich. Wer sich aber „Thumbprint“ zutraut, erlebt einen außergewöhnlichen Abend. Der den Missbrauch von Macht und Menschen, aber auch den Widerstand dagegen in emotionales Licht rückt.

Wer sich weitergehend informiert, erfährt, was „Thumbprint“ selbst nicht erzählt: Dass die damaligen Vergewaltiger später begnadigt wurden und dass Mukhtar Mai große Schwierigkeiten hatte, als sie in ihr Dorf zurückkehrte. An den 90 packenden Opernminuten ändert das nichts.