Nach Toreschluss - die Wochenend-Satire I'm a Train

Wuppertal · Da stehe ich nun also so da am Wuppertaler Hauptbahnhof auf Gleis 2 und schlage den Mantelkragen höher. Eisige Böen pfeifen über den geschickt in West-Ost-Hauptwindrichtung ausgerichteten Bahnsteig und sorgen dafür, dass sich auch zehn Grad plus anfühlen wie minus eins.

 Rundschau-Redakteur Roderich Trapp.

Rundschau-Redakteur Roderich Trapp.

Foto: Bettina Osswald

Das einer bulgarischen Bergbausiedlung kurz nach dem zweiten Weltkrieg nachempfundene Gesamtambiente lässt mich umso dringender darauf hoffen, dass bald ein Zug eintreffen möge, der mich ganz weit weg von hier bringt.

Das klappt aber nicht immer. Besonders seit diese Züge neuerdings auf einigen Strecken von National Express gestellt werden. Das wird übrigens englisch (also Näschönel Ixpress) ausgesprochen, weshalb man ja quasi automatisch an mächtige amerikanische Zug-Giganten denkt, die sich als Nachfolger der legendären Postkutschen unaufhaltsam ihren Weg durch tausende Kilometer staubiger Wüsten und riesiger Gebirge bahnen. Unser National Express schafft es aber nicht mal regelmäßig von Köln nach Wuppertal. Und falls doch, dann wissen die Passagiere anschließend, wie sich Hühner in Legebatterien fühlen, weil die Waggons zu Stoßzeiten so voll sind wie früher Wollwocht beim Sommerschlussverkauf.

An manchen Tagen ist das allerdings ganz egal. Nämlich immer dann, wenn unser Hauptbahnhof mal wieder vom gesamten deutschen Schienenverkehr abgetrennt wird. Das passiert regelmäßig, weil die Bahn in Vohwinkel ein elektronisches Stellwerk errichtet, das ausweislich seiner mehr als vierjährigen Bauzeit ab 2018 vermutlich den gesamten europäischen Zugverkehr inklusive Straßen- und Modelleisenbahnen steuern wird. Mit Blick auf National Express hat das immerhin einen Vorteil: Wenn tagelang gar kein Zug kommt, ist eigentlich auch egal, welcher ...

Während leichter Nieselregen einsetzt, den die Böen kunstvoll unter der Dachattrappe auf Gleis 2 verteilen, kommt mir ein Lied von Albert Hammond in den Sinn. Der hat 1974 mit "I'm a Train" einen Hit gehabt. Heute wissen wir, warum: Wenn man selbst ein Zug ist, muss man nie auf einen warten.

Es gibt auch noch andere schöne Eisenbahn-Songs, die schon gestern das Wuppertaler Heute vorweggenommen haben. Natürlich vor allem "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo" von Christian Anders, der präzise beschreibt, was uns gerade passiert und sogar die National-Express-Thematik einbezieht. Und so singe ich leise vor mich hin: "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo, den es noch gestern gar nicht gab... Die Zeit verrinnt, die Stunden gehen, bald bricht ein neuer Tag heran. Noch ist es für uns nicht zu spät, doch wenn die Tür sich schließt, was dann?"

Bob Dylan war möglicherweise sogar zweimal in Wuppertal und hat daraus ein Album ("Slow Train Coming") und den sehr traurigen Song "It takes a train to cry" gemacht. Gerade versuche ich mich auf die Melodie zu besinnen, da kommt eine Durchsage aus jenem Lautsprecher, mit dem vermutlich schon im Oktober 1900 die Ankunft von Kaiser Wilhelm in Elberfeld verkündet wurde. Eine Frauenstimme krächzt mir die ernüchternde Botschaft zu: "Der ICE Godot über Neverland und Wuppertal nach Nirwana hat heute zwei Jahre Verspätung. Aber dann ist unser Stellwerk wirklich fertig. Sänk ju for not träwelling Deutsche Bahn."

Bis die Tage!

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