Top Wuppertal Charles Petersohn und der wilde Mix

Wuppertal · Radikal, kreativ, offen: So sieht der Musiker und DJ Charles Petersohn seine Wahlheimat Wuppertal. Seit 30 Jahren lebt er in dieser Stadt – gestaltet sie mit und lässt sich immer wieder ganz neu auf sie ein.

 Charles Petersohn und das Wahrzeichen.

Charles Petersohn und das Wahrzeichen.

Foto: Bettina Osswald

Alt neben neu. Schön neben schrecklich. Berg hinter Tal. Und über all dem eine Schicht aus weißem Pulverschnee. Der erste Blick, den Wuppertal dem Berliner Charles Petersohn gewährt, ist magisch. Es ist die Nacht vom 1. auf den 2. Januar 1988 und Petersohn fährt vom Fischertal runter auf Barmen zu. „Dieser wilde Mix aus wunderschöner und ziemlich hässlicher Architektur hat mich sofort in den Bann gezogen“, erinnert sich der DJ und Musiker.

30 Jahre ist das her. Aus dem Berliner ist längst ein Wuppertaler geworden und aus der ersten Faszination eine tiefe Verbundenheit. „In Berlin“, sagt der 57-Jährige, „haben viele die berühmte große Schnauze. Sie sagen viel und ob es dann so kommt, wird man dann sehen. In Wuppertal muss man liefern.“

Petersohn hat sich einen Namen gemacht in der Wuppertaler Kultur- und Musikszene. In den 90er Jahren veranstaltet er viele Partys, legt auf im „Basement“, ist Resident DJ in Café Cithea Paris und Palais Xtra in Zürich, macht Musik im Kassiopeia und eine Radiosendung namens „Moods&Attitudes“ zusammen mit Guido Halfmann und Katrin Kunze für das Bürgerradio der Volkshochschule. Das führte zu zwei Missverständnissen, mit denen er auch heute noch konfrontiert wird. „Viele denken, dass ich auch in der Beatbox aufgelegt habe, aber dort war ich vor allem als Gast“, stellt der Mann mit dem markanten Gesicht klar.

Andere verwechseln ihn auch heute noch mit dem britischen DJ Gilles Peterson. Denn neben der Namensähnlichkeit legten beide auch die gleiche Mischung aus Jazz, HipHop, Drum‘n‘Bass und Worldmusic auf. Gilles Peterson tat dies regelmäßig sogar in der Beat Box. „Tatsächlich wurde ich in den 90er Jahren oft darauf angesprochen, weil die Leute dachten, sie wären auf einer Party von Gilles gewesen“, lacht der „Namensvetter“.

Dass Wuppertal heute so spannend ist, führt der Künstler auf das Haushaltssicherungskonzept zurück. Es war vor allem die Kultur, die den Sparmaßnahmen der Stadt ab 2009 zum Opfer fiel. Das Schauspielhaus wurde geschlossen, das Theater geschrumpft, Subventionen an die freie Szene massiv reduziert. Doch gleichzeitig sorgte dieser Zustand auch für Protest und eine Jetzt-erst-recht-Haltung. „Damals ist in der Stadt ein kreativer Geist entstanden, der viel angestoßen und bewirkt hat, was bis heute hält. Das lag sicher auch an Personen wie dem damaligen Schauspielintendanten Christian von Treskow, der viele, auch freie Künstler um sich geschart hat“, sagt Charles Petersohn.

 Charles Petersohn schätzt das Bunte und Vielfältige in Wuppertal.

Charles Petersohn schätzt das Bunte und Vielfältige in Wuppertal.

Foto: Bettina Osswald

Auch er gehörte dazu und erhielt den Auftrag, zu dessen „Macbeth“-Inszenierung die Musik beizusteuern. „Dadurch bin ich noch einmal mit ganz anderen Menschen in Kontakt gekommen und wurde in einer anderen Szene bekannt.“ In der Stadt entstanden plötzlich Orte wie das „Sommerloch“, die Hebebühne bei Utopiastadt und das Freibad Mirke. „Es passierten viele verrückte Dinge“, schwärmt Petersohn. Und das ist für ihn typisch Wuppertal.

Nach seinen Vorbildern befragt, nennt der Soundkünstler gleich zwei Wuppertaler: die Jazzmusiker Peter Brötzmann und Peter Kowald. An Brötzmann faszinierte den jungen Petersohn dessen Kratzbürstigkeit, seine Radikalität. „Mit Kowald gab es nur wenige, aber sehr intensive Begegnungen. „Er interessierte sich stets für die Menschen in seiner Stadt und was sie tun. Er wollte an ihren Dingen teilhaben, um sich weiterzuentwickeln und ließ andere an seiner Arbeit und seinem Geist teilhaben. Er war ein großartiger Netzwerker. Ohne ihn wären sich viele Wuppertaler Künstler nicht über den Weg gelaufen.“

Und das Radikale, Charles Petersohn ist überzeugt, dass genau diese Haltung es ist, die dafür gesorgt hat, dass Wuppertal weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt wurde. „Sei es Brötzmann und Kowald im Freejazz, Pina Bausch im Tanz und letztlich sogar auch das Vollplaybacktheater, das in seiner Art extrem radikal ist.“

Mit seinen 57 Jahren gehört Charles Petersohn nicht mehr zur jungen Szene. Doch wird er auch heute noch von jungen Kollegen gebeten, an Projekten mitzuwirken. So legt der DJ manchmal auf in der „Mauke“, gründet gemeinsam mit 30 anderen Jazzliebhabern den Jazzclub im Loch und versucht den Geist des Freejazz weiterzugeben, der für ihn eng mit Wuppertal verbunden ist. „Open minded“ nennt er das, also eine Offenheit gegenüber Neuem. Die ist für ihn prägend in allem, was er tut.

All dies habe ihn, davon ist der Veranstaltungskaufmann überzeugt, seit kurzem auch zur Caritas geführt. „Am Ende geht es doch genau um diese Frage: Wie können wir alle möglichst friedlich miteinander leben?“ Diese Offenheit zeichnet Wuppertal aus, sagt Petersohn. „Es gibt nicht viele Städte, die Migration und Integration so stark in den Mittelpunkt gestellt haben. Und die Stadt hatte wahrscheinlich einen wesentlichen Einfluss darauf, dass aus mir so ein runder, stimmiger Charakter geworden ist.“

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