Prozess in Wuppertal „Es war alle zwei Wochen Weihnachten“

Wuppertal · Im Prozess um die Messerattacke in den Räumen des Bezirkssozialdienstes am Uellendahl stand am Montag (11. November 2019) der vierte Verhandlungstag an.

 Die Angeklagte mit ihrem Verteidiger.

Die Angeklagte mit ihrem Verteidiger.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Sie tanzten zusammen. Irgendwann wohnten sie zusammen. Im Dezember 2006 gaben sie sich das Ja-Wort, zwei Jahre später wurde die gemeinsame Tochter geboren. Als seine Frau erfahren habe, dass sie schwanger sei, habe sie ihm noch am selben Tag gesagt, dass sie sich nun eine eigene Wohnung suchen werde. Man könne aber verheiratet bleiben – was beide nun längst schon nicht mehr sind. Man habe sich damals wieder zusammengerauft und irgendwann habe seine Frau dann das Kind genommen und gesagt: „Ich ziehe jetzt aus!“ Die Scheidung habe sich lange hingezogen, vor etwa drei Jahren sei die Sache endlich durch gewesen.

Und nun sind sie sich vor Gericht wieder begegnet: Er als Opfer – und sie als diejenige, die ihm in einem Büro des Bezirkssozialdienstes Uellendahl mit einem Messer schwer verletzt haben soll. Auch eine Sozialpädagogin war Opfer der Attacke geworden, die mehrere Polizisten am Ende mit gezogenen Waffen und dem Einsatz von Reizgas beenden konnten. „Es war Glück für die Frau, dass sie nicht erschossen wurde“, schilderte einer der damals herbeigeeilten Polizeibeamten die dramatische Situation. Die Angeklagte habe vor ihnen mit einem Messer herumgefuchtelt und mehrmals gesagt, dass man sie erschießen solle. Der wiederholten Aufforderung, das Messer fallen zu lassen, sei sie nicht nachgekommen. „Mir war klar, dass sie jetzt entweder gleich zusticht oder einer von uns schießt“, erinnerte sich ein Kollege des Beamten an den Moment, in dem er das Reizgas versprühte. Danach habe man die 47-Jährige auf dem Flur des Bezirkssozialdienstes überwältigen können – während des Abtransports zur Wache sei die Angeklagte weinend zusammengebrochen. Ihr Mann sei pädophil, niemand würde der Tochter helfen und sie habe sterben wollen. „Sie wirkte verzweifelt“, sagte eine der Polizeibeamtinnen, die den Transport begleitet hatten. „Sie war völlig fertig“, erinnerte sich deren Kollegin. Immer wieder habe die Angeklagte gesagt, dass ihr Mann die gemeinsame Tochter sexuell missbrauche – die lebe nicht mehr bei ihr, sondern beim Vater.

Im Zeugenstand schilderte auch der Ex-Mann der 47-Jährigen, dass seine Frau nahezu besessen von dem Gedanken gewesen sei, er könne sich unsittlich an seinem Kind vergreifen. Wickeln, eincremen und mit dem Metalllöffel aus dem Brei-Gläschen füttern: All das habe die Angeklagte in helle Panik versetzt. Er habe einen Plastiklöffel nehmen müssen und den Brei auch nicht vorher testen dürfen, weil er so möglicherweise Keime hätte übertragen können.

„Sie war überfürsorglich“, beschrieb der 61-Jährige das gemeinsame Leben, das eine Wendung nahm, nachdem seine Frau mit der Tochter ausgezogen sei. Es habe Gerichtsverfahren gegeben, weil seine Frau ihn des sexuellen Missbrauchs der Tochter verdächtigt habe. Die habe er in den ersten Jahren nur stundenweise und im Beisein einer Umgangsbegleiterin sehen dürfen - und weil sich seine Frau diesen Besuchen entzogen haben soll, habe das Jugendamt die damals Fünfjährige in Obhut genommen und für ein Jahr in einer therapeutischen Wohngruppe untergebracht. Dort habe das Kind lernen sollen, dass es nicht nur die Mama gebe und dass es normal sei, in den Kindergarten zu gehen. Im Übrigen soll ihm seine Frau zuvor auch unterstellt haben, sich vor dem Kindergarten in schamverletzender Weise gezeigt zu haben.

Über die Umstände der Inobhutnahme ist im Netz so einiges zu lesen, dazu hatte es damals eine Online-Petition gegeben. Auch auf dem Gerichtsflur wurde erzählt, auf welch dramatische Weise Mutter und Kind getrennt worden sein sollen. Die Mutter gefesselt vor dem Haus liegend und das kleine Mädchen schaut am Fenster zu: Man möchte sich eine solche Situation nicht vorstellen müssen. Als Grund gab der Vater an, dass das Jugendamt nicht gewusst habe, was seine Frau mit dem Kind mache. Ob es gut versorgt sei, ob das Mädchen in den Kindergarten gehe: All das habe man nicht in Erfahrung bringen können – und deshalb habe das Amt durchgegriffen.

Derweilen war bislang von allen dazu befragten Zeugen zu hören, dass die Mutter liebevoll mit ihrer Tochter umgegangen sei. Seine Frau habe ihm jedoch bereits zu Beginn der Beziehung erzählt, dass sie als Kind von einem Onkel vergewaltigt worden sei und unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Dazu habe es angeblich noch eine Borderline-Diagnose gegeben – unter den stetigen Stimmungsschwankungen habe er gelitten. Zwischenzeitlich habe er gefürchtet, seine Frau würde einen gemeinsamen Suizid mit der Tochter planen.

Gab es konkrete Gründe für eine Annahme von solcher Tragweite? Gab es eine seelische Krise bei der Angeklagten, die eine Inobhutnahme des Kindes mit den gravierenden Folgen einer Heimunterbringung rechtfertigen? Vor Gericht gab es dazu bislang nichts zu hören, was den Sachverhalt hätte klären können. Mutter und Tochter durften sich über fünf Jahre hinweg nur jeden zweiten Samstagnachmittag für drei Stunden sehen, immer unter Aufsicht einer Sozialpädagogin. „Es gibt keinen Fall, bei dem der begleitete Umgang über eine solch lange Zeit nicht gelockert wurde“, hatte die Umgangsbegleiterin vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) an einem der vergangenen Verhandlungstage ausgesagt.

Seine Ex-Frau habe die Tochter jedes Mal mit Geschenken überschüttet. „Es war alle zwei Wochen Weihnachten“, ließ der Zeuge das Gericht wissen. Bei einem Martinsumzug der Grundschule sei die Tochter plötzlich verschwunden gewesen – Lehrer und Mitschüler hätten panisch nach dem Mädchen gesucht, bis Mutter und Großmutter das Kind unversehrt zurückgebracht hätten. Dazu habe die Schwester seiner Frau in sozialen Netzwerken von den guten Kontakten gesprochen, die sie in den arabischen Raum habe – was wiederum beim ihm die Angst vor einer Entführung des Kindes ins Ausland geschürt habe. Seine Frau habe bei einem der letzten Begegnungen mit der Tochter gesagt, dass man sich nun lange nicht mehr sehen werde – und ihr ein Album mit Fotos überlassen. Das Mädchen habe ihm dazu noch erzählt, dass die Mama geweint habe. Und dennoch – seine Frau habe keinen festen Wohnsitz gehabt und er habe ihr das Kind nicht unbegleitet überlassen wollen.

Angst scheint beim Vater noch immer das bestimmende Gefühl im Umfeld eines Gerichtsprozesses zu sein, den die Angehörigen der Frau von Beginn an verfolgen. Er habe in der Zeitung gelesen, dass jemand auf Facebook angekündigt habe, die Attacke seiner Ex-Frau im Gerichtssaal beenden zu wollen. Dass ihre Oma an einem der letzten Verhandlungstage ein Messer dorthin mitgebracht haben soll, könne die mittlerweile zehnjährige Tochter nicht begreifen.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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