"Ich geh" nicht betteln"

Wuppertal · Immer mehr und überwiegend ältere Menschen leben in dramatischen Umständen. Diese Erfahrung machen die Mitarbeiter vom Stadtteilservice Nordstadt. Ein Gespräch, das nachdenklich stimmt.

"Fast täglich sind wir mit solchen Fällen konfrontiert. Und sie nehmen zu", sagt Silke Costa. Die Leiterin des Stadtteilservice der Elberfelder Nordstadt nennt Beispiele und berichtet von einer Rentnerin, der nur 90 Euro im Monat zum Leben bleiben, weil sie sich schämt, einen Antrag auf Grundsicherung zu stellen. "Ich geh' nicht betteln", so ihre Begründung.

Ähnlich wie der betagte Künstler, den Mitarbeiter in seiner Wohnung in einer menschenunwürdigen Situation im Bett vorfanden. Beiden konnte geholfen werden. In einem anderen Fall kam jede Hilfe zu spät: "Als wir von Nachbarn darauf aufmerksam gemacht wurden, dass es in der Wohnung einer älteren Nachbarin seit Tagen auffallend still ist, haben wir von der Feuerwehr die Wohnungstür öffnen lassen und die Frau tot auf dem Sofa gefunden."

Dass alleinstehende und einsame Senioren auch eine leichte Beute für verantwortungslose Zeitgenossen sind, auch diese Erfahrung macht der Stadtteilservice. Die blinde 90-Jährige, die von ihrer Putzfrau bestohlen wurde, die 75-Jährige, die einem vermeintlichen Freund eine Kontovollmacht gab und erst sehr spät registrierte, dass dieser ihr Konto hemmungslos abräumte — das sind nur zwei bekannte Vorfälle. Die Dunkelziffer dürfte nach Einschätzung von Silke Costa höher liegen.

Sie geht davon aus, dass etwa 20 Prozent der Bewohner vom Ölberg und der Nordstadt insgesamt in schwieriger bis dramatischer Situation ihr Leben bewältigen (müssen). Verstärkt seien es auch jüngere Menschen, die durch Arbeitslosigkeit und familiäre Schicksalsschläge nach und nach in die Isolation abrutschen.

Gestrandet am Rand der Gesellschaft, allein und ohne den Mut, von den zahlreichen Hilfsangeboten, die der Sozialstaat bereithält, Gebrauch zu machen — das ist kein nordstadtspezifisches, sondern ein stadtweites Problem. "Das erfahre ich im Gespräch mit Kollegen aus anderen Stadtteilen", so Silke Costa, die sich eines wünscht: Mehr aufmerksame Nachbarn, die einen Blick für Anzeichen haben, die auf Menschen mit Problemen hinweisen. Das kann ein verdrecktes Treppenhaus sein — ein häufiger Fall, wenn alleinstehende Bewohner, die zu in der Lage wären, kaum noch ihre Wohnung verlassen, keine sozialen Kontakte pflegen. Signale, die nahe legen, dass jemand in seiner mehr oder weniger selbst gewählten Einsamkeit große Probleme hat. "In Kooperation mit dem Bezirkssozialdienst sind wir da, wenn wir gebraucht werden und helfen können", verspricht Silke Costa.

(Rundschau Verlagsgesellschaft)
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