Rundschau-Satire „Ein paar Denkanstöße geben“

Betr.: „Nach Toreschluss: Schmierwurst ohne Wurst“

Sehr geehrter Herr Roderich Trapp, ich habe gestern Ihre Wochenendsatire gelesen und würde gerne ein paar Denkanstöße geben:
1.    Ja, es gibt Menschen, denen Fleisch grundsätzlich nicht schmeckt, denen es zuwider ist oder wie Sie es ausgedrückt haben, die das „gar nicht mögen“. Gerade diese Menschen streben dann meistens nicht danach, Fleisch-ähnliche Produkte zu genießen. Es gibt außer „nicht mögen" jedoch noch andere sehr vielseitige Beweggründe, eine pflanzenbasierte Ernährung vor zu ziehen. Neben möglichen gesundheitlichen Vorteilen und dem Tierwohlgedanken spielen mittlerweile wohl die ökologischen Auswirkungen der Fleischindustrie eine entscheidende Rolle (als Beispiele: CO2-Ausstoß, Rodung natürlicher Lebensräume). Für einige Personen ist Fleisch also schmackhaft und trotzdem möchten sie es nicht kaufen, um die Wirtschaft dahinter nicht zu unterstützen. Damit kommen wir zu dem zweiten Aspekt, auf den ich gerne hinweisen möchte:

2.    Die meisten Menschen pflegen Gewohnheiten. Denn feste Strukturen und Routinen bieten uns ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle. Einige Personen halten so sehr an ihren alltäglichen Abläufen fest, dass es sie unflexibel macht und sogar Ängste in ihnen weckt, wenn eine mögliche Veränderung bevorsteht oder nur vorgeschlagen wird. Es ist ein tief in uns verwurzelter Reflex, das Neue zunächst suspekt zu finden oder gar abzulehnen. Unter anderem für all die Gewohnheitstiere unter uns und für diejenigen, denen es schwer fällt selber kreativ zu werden, ist es durchaus praktisch, dass so genannte „Fleischersatzprodukte“ entwickelt worden sind. Diese vereinen nämlich gleich zwei unschlagbare Vorteile: 

1. Ein günstiger ökologischer Fußabdruck durch pflanzenbasierte Rohstoffe

2. Ein annäherungsweise vertrautes Erlebnis und Heimatgefühl durch die visuelle und gustatorische (durchaus bestreitbar) Ähnlichkeit zu den „Originalen“. Dieses Verlangen nach Vertrautem oder Gewohnten erklärt auch, warum man den neuen Produkte teilweise paradoxe Namen und Vermarktungen angedeihen lässt (z.B. „vegane Teewurst“ oder „Salami“). Sie verkaufen sich damit gut, da die Konsumierenden eine grobe Vorstellung davon haben, womit sich das neue Nahrungsmittel vergleichen lässt.  Diese Imitate müssen nicht allen schmecken oder gefallen. Niemand wird gezwungen, diese Produkte zu kaufen. Aber wer daran Freude hat, dem sei dies gegönnt und dem möchte ich dieses Vergnügen nicht vermiesen.

Sind diese Antworten auf Ihre Eingangsfrage, warum Vegetarier „Sachen“ „wollen“, „die sie gar nicht mögen“ nachvollziehbar? Falls nicht, haken Sie gerne nach. Ich möchte mich bemühen, eine Brücke zu bauen und Missverständnisse zu klären. Es sind nämlich nicht nur esoterische Tierfreunde und fanatische Fitnessgurus, die sich vegetarisch ernähren, sondern derzeit auch einfach viele Mitmenschen, die offen für neues sind und etwas in der Welt bewegen möchten.

3.    An dieser Stelle frage ich, was Satire für Sie bedeutet? Und was Sie mit Ihrem letzten Beitrag bewegen möchten? In meinem Verständnis geht es nämlich bei Satire darum, in kunstvoller und kluger Art auf politische oder gesellschaftliche Missstände hinzuweisen, zum Nach- oder Umdenken anzuregen und damit eine positive Entwicklung voranzutreiben, also etwas zu bewegen. Mir ist noch nicht begegnet, dass sich Satire gegen Minderheiten richtet und dadurch eine allseits wohltuende Veränderung aufhalten möchte. 

4.    Wir können uns nämlich verändern, nicht nur in jungen Jahren sondern auch im Alter. Ich betone dies deshalb, weil ich nicht verstehe, was Sie im Zusammenhang mit dem fleischlosen McDonalds Angebot ausdrücken möchten: „Karotten, Paprika [...] und Pastinaken [...], was kleine Kinder [...] nicht mögen“. Soll das ein Argument dafür sein, dass der Burgerpatty aus Gemüse nichts taugt? Wollen Sie damit ausdrücken, dass wir uns als Menschen seit der Kindheit nicht weiter entwickeln? Weder emotional noch intellektuell? Und im Verlauf unseres Lebens unseren Geschmack nicht wandeln können? 

5.    Weiterhin ist mir unklar, ob Sie glauben, dass Fleischkonsum notwendig für körperliche Leistungsfähigkeit ist? Damit gehe ich auf Ihren Kommentar zum „Deutschland-Achter“ ein. Die Studien der letzten Jahrzehnte weisen ja eher darauf hin, wie weitreichend schädlich der übermäßige Verzehr von Fleischprodukten (v.a. wenn industriell verarbeitet) in unserer überernährten Gesellschaft ist – schädlich sowohl für das Individuum als auch für die Gesamtbevölkerung und das Gesundheitswesen. Und ja, auch die hochverarbeiteten pflanzlichen Nährmittel verstecken häufig Inhaltsstoffe, die wir nur in Maßen konsumieren sollten.  Das möchte ich nicht bestreiten. Das sollte aber niemanden dazu bringen, stattdessen totes Tier zu essen. Die ausführlichen Beispiele, welche Optionen es zwischen Fleisch und „Fleischersatz“ noch alles gibt, erspare ich uns.

6.    Nun kann ich nur an Sie appellieren, dass Sie sich Ihrer Verantwortung als Journalist bewusst werden. Es ist ein Privileg, wöchentlich an ein großes Publikum schreiben, dieses informieren und inspirieren zu dürfen. Sie erreichen sehr viele Menschen mit Ihren Worten. Und Sie können entscheiden, was Sie diesen Menschen mitteilen möchten und wie sich unsere Welt in den nächsten Jahren bewegen soll. Möchten Sie in einer Gesellschaft leben, in der allen außer dem eigenen Wohl alles egal ist?

Ich weise hiermit darauf hin, dass dies meinerseits kein Seitenhieb sein soll. Genauso, wie Sie sich mit Ihren Fragen „schon länger beschäftigen“, ist mir manchmal unklar, wo sich die Verständnisprobleme verstecken, wo sich medial doch gerade in den letzten Jahrzehnten zunehmend um Transparenz und Aufklärung in dem Gebiet Nachhaltigkeit und Klima bemüht wird.  Daher hoffe ich, dass ich an einigen Stellen Licht ins Dunkle bringen konnte und würde mich über eine Rückmeldung freuen.

Katrin Simon

p.s.: Und wenn ich darüber nachdenke, würde ich tatsächlich lieber eine alte Socke essen als alte Schweinefüße, Knorpel, Sehnen, Zungen, Augen und andere tierische „Nebenerzeugnisse“, die in der konventionellen Wurst auch heute noch landen. Hauptsache die Panade ist kross. 

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