Schauspiel: Hauptmanns „Die Weber“ im Opernhaus Amazon-Aufstand in Wuppertal
Wuppertal · Das Wuppertaler Schauspiel hat gerade einen echten Lauf: Nach einer großartigen „Romeo und Julia“-Inszenierung schlägt jetzt Hauptmanns „Die Weber“ im Opernhaus als perfekte Mischung zwischen Moderne und Tradition einen dicken Engels2020-Pflock ein.
Schon das Programmheft setzt Maßstäbe: Wer nicht genau hinschaut, könnte es mit einer Werbebroschüre des (erfundenen) Paket-Logistikers XXX Dreißiger verwechseln. Dessen Auftritt – und auch das Bühnen(bild)geschehen (Anne Manss) – sind bewusst an den Weltkonzern Amazon angelehnt: Die Inszenierung von Martin Kindervater verlegt die Gerhard-Hauptmann-Handlung vom schlesischen Weberaufstand 1844 quasi in die Jetzt-Zeit – deutliche Kritik am Verhalten von Amazon inklusive.
Hauptmanns ausbeuterischen Fabrikanten Dreißiger, der sich als treusorgender Vater seiner Arbeiterfamilie gibt, spielt Alexander Peiler mit aufgesetzt bigotter Milde und nackter Feigheit, als es ihm im Lauf der Handlung tatsächlich ans Leder geht. Seine exakt der chinesischen Wuppertaler Friedrich-Engels-Statue entsprechende überlebensgroße Figur mit modischem Männer-Dutt auf dem Kopf kommt folgerichtig zu Fall: Die unterdrückten Weber nehmen über Umwege ihr Schicksal in die eigenen Hände, greifen zur Gewalt des spontanen Aufstandes und erzielen sogar erste Erfolge ...
Fast durchgängig agieren die Wuppertaler Ensemble-Mitglieder, zu denen diesmal auch Akteure des Inklusiven Schauspielstudios gehören, in Doppelrollen, um die Vielzahl der handelnden Personen bewältigen zu können.
Besonders stark Martin Petschan als Dreißigers Kassierer und aalglatter, das herrschende System bedingungslos stützender Pfarrer.
Thomas Braus brilliert als Weber Baumert sowie in der Rolle des Polizeiverwalters, in der er wie das perfekte Mitglied einer elenden Militär-Junta agiert.
Stark (auch als Sängerin) Luise Kinner – ebenso wie Stefan Walz: Besser kann man den die Ausbeuterei gerne mittragenden Dreckskerl Pfeifer nicht machen.
Eine geniale Idee ist die Verlegung der Handlung, soweit sie im von der aufständischen Arbeitermenge bedrohten Fabrikanten-Haus spielt, ins Opernhaus-Kronleuchterfoyer. Von dort wird das Ganze per Großbildleinwand auf die Bühne übertragen – ebenso wie die Live-Musik eines Quartetts des Wuppertaler Sinfonieorchesters. Filmsequenzen und andere Einblendungen gibt es ohnehin oft: So holt die Inszenierung die Gegenwart auf die Bühne. Wenn Thomas Braus als gehetzter Paketbote zu den Klängen von „Working Class Hero“ quer durch die Stadt unterwegs ist, wird klar, was dieses Stück auch heute noch zu sagen hat. Ein optimal zugeschnittener Beitrag des Wuppertaler Schauspiels zum Engels2020-Jahr.
Die Bitternis der von Hunger und Armut geprägten Wohn- und Lebensverhältnisse in den Weber-Stuben realisiert die Inszenierung mit sparsamsten Mitteln: Ein Fernseher mit gehirntötendem Programm, eine ratternde Nähmaschine, kaum Licht und nichts zu essen. Trotzdem: Dass sich die Arbeiter zum Aufstand entschließen, ist nicht zwangsläufig – und es sind auch nicht alle, die mitziehen. Als Sinnbild des ans Althergebrachte gefesselten Menschen kommt der große Hans Richter zu einem intensiven Auftritt. Und am Ende durch eine Querschläger-Kugel zu Tode.
Diese Wuppertaler „Weber“ sind – Kompliment für alle – ein starkes Stück. Wer Klassiker aufs Jetzt fokussieren will, muss es so machen!
Ein Kritikpunkt: Die akustische Textverständlichkeit lässt oft zu wünschen übrig. Nicht nur wegen des gewöhnungsbedürftigen schlesisch-berlinerischen Dialektgemisches, das die Arbeiter sprechen. Bei „Romeo und Julia“ kamen Headsets zum Einsatz. Das klang definitiv besser.