Premiere im Wuppertaler Schauspiel RomeoCoronaJulia – spektakulär!

Wuppertal · Paukenschlag im Opernhaus: Mit einer faszinierenden, auf 105 Minuten ohne Pause eingedampften „Romeo und Julia“-Inszenierung des Franzosen Nicolas Charaux schält das Wuppertaler Schauspiel den Shakespaere-Klassiker bis aufs Skelett. Absolut modernes Theater unter Corona-Bedingungen und in einer Stadt im Ausnahmezustand.

 In fast völliger Bühnen-Dunkelheit flüstert er mit seiner Julia: Konstantin Rickert  als Romeo.

In fast völliger Bühnen-Dunkelheit flüstert er mit seiner Julia: Konstantin Rickert als Romeo.

Foto: Uwe Schinkel

Diese Stadt – das italienische Verona – steht im blutigen Zeichen der endlosen Fehde zwischen den Familien Capulet und Montague. Der Beginn der Wuppertaler Inszenierung, wenn hinter einer riesigen, halb durchsichtigen Leinwand nebelhafte Menschen zu fröhlicher Musik so tun, als sei alles in Butter, zeigt die maskenhafte Lügenfassade der Wirklichkeit. Und die Halbgesichtsmasken der Darsteller, die von hinter dieser Leinwand sprechend per Video-Bild riesenhaft und beängstigend die Bühne beherrschen, zeigt erst recht: Hier ist nichts in Butter.

Mittendrin in dieser von falschen Ehrbegriffen und falschen Gefühlen regierten Welt verliebt sich – auf den ersten Blick – der Montague Romeo in die Capulet Julia. Und sie sich in ihn. Das Drama, das sozusagen die ganze Welt kennt, nimmt seinen Lauf.

Was das siebenköpfige Ensemble und sein wagemutiger Regisseur in einem extrem puristischen Bühnenbild (Dominik Freynschlag) aus dieser „uralten“ Geschichte machen – das ist zutiefst beeindruckend. Nicht nur, dass sich die Musik, die den Bogen von Klassik bis zu treibenden Beats aus dem Power-Aerobic-Studio spannt, wunderbar einfügt. Nein – hier entsteht eine Shakespeare-Interpretation, die die Mittel moderner Schwarz-Weiß-Videotechnik genauso konsequent nutzt, wie die schauspielerische Reduktion auf die unsterbliche Sprache der Liebenden.

Zwar ist in der Neuübertragung von Gesine Danckwart viel aktueller „Sprech“ zu hören, doch Shakespeare ist auch hier immer noch ganz Shakespeare geblieben.

Wenn Romeo und Julia, nur von je einer kleinen Lampe beleuchtet, hinter zwei Säulen versteckt miteinander flüstern, liefern Konstantin Rickert und Julia Meier in den Titelrollen Gänsehaut-Theater. Und das wiederholt sich später, nach ihrer ersten (und letzten) Nacht mit einem per Seilzug in der Höhe hängenden Romeo. Es ist erstaunlich, wie es diesen beiden gelingt, zurückhaltend und voller Präsenz zugleich zu sein.

Stefan Walz spielt Vater und Mutter Capulet – machtgierig, bitter, unempfindlich für das Herz seiner Tochter. Die Szene, in der sein riesenhafter Videokopf das kleine, Romeo liebende Mädchen quasi fast verschlingt, jagt Schauer über den Rücken. Als Romeo-Freund Mercutio steht Alexander Peiler seinen Mann, zeigt erneut feine Facetten. Martin Petschan gibt einen messerscharfen, intriganten Capulet-Tybalt – und Kevin Wilke bleibt als Paris, den Vater Capulet als Mann für seine Tochter ausgesucht hat, streckenweise nichts als die Lachnummer. Doch die bringt er bestens.

Apropos Lachen: Luise Kinner agiert als (Pater) Lorenzo ausgezeichnet in einer Hosenrolle – vor allem aber liefert sie (vielleicht an der Stelle, wo in der Ursprungsplanung vor Corona die Pause gewesen wäre?) einen haarsträubend komischen Einschub mit der Präsentation der Corona-Vorschriften für den Bühnenbetrieb.

Ein besonderes Lob verdient der oben bereits erwähnte Dominik Freynschlag für seine Kostüme: Heutige Alltagskleidung, 40er-Jahre-Mode, phantasievoll Archaisches oder auch Ganzkörperschutzanzüge – da gibt’s eine Menge zu sehen auf dieser Bühne voller Kargheit.  

Atemberaubend der Schluss: Die Endphase beginnt, wie man es kennt, dann geht die Wuppertaler Inszenierung ihren eigenen Weg. Bricht aus der klassischen Vorgabe aus, greift voraus. Die Verwandlung der sich (endlich – und Corona zum Trotz) innig umarmenden Liebenden in eine weiße Steinstatue per vom Rest-Ensemble bedienten Schaumsprüh-Geräten ist der Höhepunkt eines Stückes, wie man es sonst wohl nur in Hauptstadttheatern beziehungsweise auf „3sat“ oder „Arte“ zu sehen bekäme.

Der absolut verdiente Lohn dieses außergewöhnlichen, mutigen Abends: stehende Ovationen! Das habe ich im Wuppertaler Schauspiel schon ewig nicht mehr erlebt.

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