1. Kultur

Wuppertaler Schauspiel: Premiere von Kleists "Die Marquise von O..."

Premiere im Theater am Engelsgarten : Die Marquise von (Techn)O

Das Wuppertaler Schauspiel holt Heinrich von Kleists über 200 Jahre alte Novelle „Die Marquise von O...“ als erzähltes Theater auf die Bühne am Engelsgarten: Drei Schauspieler-Berichterstatter agieren in einem Plastikplanen-Kasten – mit Techno-Sounds und Lichteffekten, stillen Momenten, leidenschaftlichen Passagen, viel verschmierter Farbe, Klamauk und an Tanztheater erinnernder Choreographie.

Das ist schon ein Wagnis, einen klassischen Kleist so konsequent ins Heute zu transformieren. Ein optisch so reduziertes Theaterstück aus einem historischen Stück Erzählliteratur zu machen. Regisseurin Kristin Trosits geht das Risiko ein – und hat mit Nina Sieverts als Bühnenbildnerin sowie dem Choreographen Jeremy Curnier Partner gefunden, die auf diesem Weg fest an ihrer Seite stehen. Ein Bühnenquadrat, von beweglichen Plastikvorhängen begrenzt, ein paar Eimer mit Farbe, die sich im Lauf der folgenden 90 Minuten performance-artig auf Menschen und Wände leeren werden sowie Madeline Martzelos, Silvia Munzón-Lopez und Konstantin Rickert in zeitlos weißer Kleidung – mehr gibt‘s nicht zu sehen.

Die drei Darsteller, deren Rollen- und Geschlechterzuordnung immer wieder wechselt, erzählen die Geschichte der Marquise von O., setzen sie in Bewegung plus Sprache um. Die jung verwitwete Marquise, Mutter zweiter Kinder, lebt auf dem Schloss ihrer Eltern, das während eines Krieges von feindlichen Truppen erobert wird. Die marodierende Soldateska beginnt, die Marquise zu misshandeln – da erscheint der Graf von F. als Retter der Frau, vertreibt die Bösen, bringt die Marquise ins Gebäude. Dass er die Ohnmächtige dann vergewaltigt, enthüllt sich erst später. Die Adelige wird schwanger, und deswegen von ihrer Familie verstoßen.

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Sie aber fügt sich nicht widerstandslos: Ihre Kinder lässt sie sich nicht wegnehmen, riskiert ein Zerwürfnis mit ihren Eltern – und per Zeitungsannonce (heute kämen Social-Media-Posts zum Einsatz) erklärt sie ihre Lage, fordert den Vater des ungewollten Kindes auf sich zu melden, da sie bereit ist, ihn zu heiraten. Der Graf von F., der die Marquise liebt, taucht wieder auf, es gibt eine Hochzeit. Ob all das wirklich gut endet, lässt die Wuppertaler Inszenierung offen.

Diese verwirrend verwickelte Geschichte präsentieren die drei Schauspieler im ständigen Wechsel von indirekter und direkter Rede, von manchmal komischer sowie immer wieder dramatischer Interaktion. Wer ist wer, wer spielt wen? Es ist zu Beginn nicht einfach, die von Licht- und Musikeffekten unterbrochenen Erzählstränge zu überblicken. Doch wenn man sich einfach fallen lässt, findet das Ganze zueinander.

Inklusive eines schrägen Ausflugs in die Frühzeiten des TV-Datings, als das Vorabend-Ereignis „Herzblatt“ noch die Nation bewegte. Da wird sich mancher im Zuschauerraum (nicht nur Konstantin Rickert auf der Bühne) fragen: „Was hat das denn jetzt mit Kleist zu tun?“ Die Frage ist nicht unberechtigt. Aber wenn Theater (auch) die Aufgabe hat, den Staub der Jahrhunderte von manchen Texten zu blasen, um beispielsweise neue Publikumsschichten zu erschließen, dann sind solche Griffe in die Trickkiste total legal.

Die drei Schauspieler agieren auf Augenhöhe, sind Erzähler, Performer, Tänzer – ja sogar ein bisschen Sänger. Die beiden Frauen stehlen dem Mann im Trio ein Stück weit die Show. Doch das Konzept „Hauptrolle? Gibt‘s hier nicht!“ geht auf. Der Text fließt, die Bilder wechseln sich ab, die Geschichte entsteht. Was dabei aber auf der Strecke bleibt: Die seinerzeit unerhörte Bedeutung der Tatsache, dass eine Frau das Ruder ihres Schicksals offensiv selbst in die Hand nimmt. Um einen Jetztzeit-Zuschauerraum spüren zu lassen, welch schier unmögliche Aufgabe das vor 200 Jahren war (und auch heute durchaus immer noch ist!), hätte es stärkerer schauspielerischer Impulse bedurft.

Die Wuppertaler „Marquise“ läuft langsam an, nimmt dann Fahrt auf, arbeitet mit einer im wahrsten Sinn des Wortes bunten Palette von Sinneseffekten. Die schaffen Bilder, die in einem Sprechtheaterklassiker nicht zu erwarten wären: Einmal ist es eine Szene mit Madeline Martzelos, das andere Mal eine mit Silvia Munzón Lopez, wenn die Bühne zum sprechenden Gemälde wird.

Und vor allem am Ende erreicht dieses choreographierte Erzähl-Theater seinen Höhepunkt: Konstantin Rickert und Silvia Munzón Lopez bewegen sich miteinander, gegeneinander, umeinander herum. Graf F. und die Marquise von O. im sinnlichen Clinch-Kampf, auf (Corona?-)Abstand gehalten von einem an Kendo-Kämpfer erinnernden Stab.

Gut möglich, dass Kleist die Wuppertaler Interpretation seiner Novelle nicht geschmeckt hätte. Den Schluss-Akkord mit offenem Ende – den hätte auch er aber nicht so schnell vergessen.