Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Hofschlachtsystem

Wuppertal · 1971 hat Ray Tomlinson die E-Mail erfunden. Weil man für E-Mails keine Briefmarken braucht, haben sie sich noch rasanter vermehrt als Reality-Shows im deutschen Privatfernsehen und sind vielfach tatsächlich noch unsinniger, auch wenn Medienwissenschaftler das eigentlich für unmöglich halten.

 Roderich Trapp.

Roderich Trapp.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Max Höllwarth

Inzwischen werden weltweit täglich mehr als 300 Milliarden E-Mails pro Tag verschickt, aber nur noch 1,2 Milliarden echte Briefe. Von diesen 300 Milliarden Mails landen regelmäßig etwa 100 in meinem Postfach und sorgen dafür, dass man dauerhaft mehr zu löschen hat als die Wuppertaler Berufsfeuerwehr. Viele der Mails sind nämlich ähnlich sinnvollen und erhellenden Inhalts wie die allererste, in der laut Ray Tomlinson ungefähr so etwas stand wie „qwertyiop“.

Das liegt daran, dass man regelmäßig mit Mails bombardiert wird, die ziemlich wahllos an den Großteil der vielen Milliarden E-Mail-Empfänger weltweit verschickt werden. Neulich erreichte mich zum Beispiel die Mail eines Herstellers von Hofschlachtsystemen, der mir dringend zum Erwerb seines neuesten Produktes riet: Es handelt sich dabei um einen nur zehn Tonnen schweren Anhänger, der die erste Komplettlösung für mobile Hofschlachtung bietet: Schlachtung und Zerlegung, Verpackung und Verkauf könne ich mit diesem High-Tech-Gerät autark und direkt auf meinem Hof organisieren und mir damit Transporte zum Schlachthof sparen. Das bringe Metzgern und Landwirten wie mir nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern sei auch gut für das Tierwohl.

Nun muss ich einräumen, mich bisher im Arbeitsalltag viel zu wenig mit diesem Themenkomplex beschäftigt zu haben, obwohl ich in dieser Glosse ja auch gelegentlich jemanden satirisch schlachte. Möglicherweise lässt sich mit Hilfe des Anhängers dabei ja der Workflow noch entscheidend optimieren. Ich muss aber vorher fragen, ob die Tragfähigkeit unseres Redaktionsbodens in der sechsten Etage zehn Tonnen Belastung aushält ...

Natürlich fragt man sich bei solchen oder anderen Mails, warum man sie überhaupt bekommt. Rundschau-Verlagsgesellschaft hört sich ausweislich des Firmennamens ja nicht unbedingt so an, als würden wir hier Fleischwaren herstellen, auch wenn Salami und Dauerwürste zugegebenermaßen gerne rund sind und daher eine gewisse Verwechselungsgefahr besteht.

Während man in diesem Fall also noch einen etwas unglücklich zusammengestellten Mailverteiler vermuten und diese Zusendung auch ohne den Einsatz eines High-Tech-Anhängers per Löschtaste schlachten darf, ließ mich eine weitere elektronische Zuschrift neulich sehr nachdenklich zurück: Eine Dame bewarb sich nach erfolgreicher Umschulung bei der Rundschau. Und zwar als Pflegefachkraft. Nun ist unser Verlag zwar schon fast 50 Jahre alt, insgesamt aber noch rüstig und nimmt rege am Leben teil. Insofern mag der Bedarf an Pflegekräften zwar überall sehr groß sein, bei uns aber zum Glück nicht. Ich habe der Dame deshalb geschrieben, sie solle es besser beim Wuppertaler Gebäudemanagement versuchen, das liegt ja schon länger auf der Intensivstation.

Fein zu unterscheiden ist übrigens zwischen blödsinnigen Mails und gemeingefährlichen, die ebenfalls im Stundentakt eintreffen. Sie werden sie alle kennen: Den nigerianischen Notar, der ihnen gerne gegen einen kleinen Kostenvorschuss die 28 Millionen Dollar auszahlen möchte, die ihnen ein entfernter Verwandter freundlicherweise vererbt hat. Die Diättropfen, mit denen man 14 Kilo in einer Woche abnehmen kann, ohne mit dem Essen aufzuhören oder sich Körperteile zu amputieren. Und natürlich den Hauptchefkommissar von Europol, der einen wegen unaussprechlicher Cyber-Verbrechen verhaften wird, falls man nicht sofort eine Geldstrafe in Höhe des deutschen Bruttosozialprodukts bezahlt.

Wenn er mir diesen Hinweis statt per E-Mail in einem mit 1,10 Euro frankierten Standardbrief vom Dienstsitz in Den Haag nach Wuppertal hätte schicken müssen, hätte es die Warnung garantiert nie gebeben. Womit bewiesen wäre, dass meine Oma Recht hatte. Die hat früher immer gesagt: „Wat nix kostet, is nix.“ Dabei war die E-Mail damals noch gar nicht erfunden ...

Bis die Tage!

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