Nach Toreschluss – die Wochenendsatire Schwebodrom 2029

Wuppertal · Neuerdings ist in Wuppertal ja alles ein Drom. Erst gab es das Visiodrom und jetzt ist auch noch das Schwebodrom dazugekommen. Da brauchen wir nur noch ein Wuppodrom, das die Unterwasserwelt im Tal präsentiert.

In einem echten Schwebebahnwaggon geht es auf die Zeitreise.

In einem echten Schwebebahnwaggon geht es auf die Zeitreise.

Foto: Christoph Petersen

Wenn das so wird wie das Schwebodrom, freue ich mich da alledings auch schon drauf. Denn die virtuelle Zeitreise mit der Schwebebahn ist wirklich ein doller Otto. Mit diesen Virtual-Reality-Brillen auf dem Kopf sieht man zwar aus wie ein leicht orientierungsloser Roboter, aber das merkt man ja gar nicht, weil man nicht in die Wirklichkeit, sondern ins Wuppertal des Jahres 1929 guckt.

Dort habe ich über vieles gestaunt, was da links und rechts der Schwebebahnstrecke zu sehen ist, und wollte meiner neben mir sitzenden Frau immer was zeigen, das ich gerade entdeckt hatte. Aber die hatte ja auch so ein Ding auf und konnte natürlich meinen Finger nicht sehen. Daran müssten die Programmierer noch arbeiten.

Es ist schon irre, was man da alles beobachten kann. Jedes zweite Gebäude war eine Brauerei, es gab kaum Graffiti und statt mit Drogen wurde am Wupperufer noch mit Textilien gehandelt. Außerdem sieht man überall fleißige Arbeiter, deren Acht-Tage-Wochen allerdings nicht abgebildet werden konnten.

Es ist keine Frage, dass das Schwebodrom viele Touristen anlocken wird, was zu einem kleinen Problem führen könnte: Wenn die erst durch Wuppertal 1929 und danach mit der Schwebebahn durch Wuppertal 2023 fahren, werden sie sich anschließend möglicherweise fragen: Was ist denn hier schiefgelaufen? Wuppertal sah 1929 nämlich an vielen Stellen viel besser aus als heute.

Am Döppersberg beispielsweise war ein schickes Stadttheater und angrenzend ein netter viereckiger Park mit akkurat angelegten Spazierwegen und echten Bäumen. Ich meine aus dem Augenwinkel sogar eine öffentliche Toilette erkannt zu haben. Mit diesem Ambiente können wir trotz Millioneninvestitionen heute nicht mehr so ganz mithalten.

Bilder: Die „Schwebodrom“-Eröffnung​ in Wuppertal
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Die „Schwebodrom“-Eröffnung

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Foto: Christoph Petersen

Und auch sonst hatte man an vielen Stellen das Gefühl, dass es damals so eine Art Stadtplanung gegeben haben muss. Vielleicht wäre es deshalb keine schlechte Idee, wenn die Mitglieder des heutigen Stadtentwicklungsausschusses mal gemeinsam das Schwebodrom besuchen und sich bei der Fahrt ein paar Notizen machen. Dann bekommen wir vielleicht irgendwann auch mal wieder wenigstens einen oder zwei Stadtplätze mit Aufenthaltsqualität oder vereinzelte Grünpflanzen am Wall ...

Wenn das Schwebodrom langfristig Erfolg hat, wird man es irgendwann updaten müssen. Ungefähr im Jahr 2123 könnte es die große Umstellung geben. Der Wagen aus der Kaiserwagen-Baureihe wird dann rausgeschmissen und durch einen Originalwagen der enzianblauen Generation 15 ersetzt, mit dem man eine Zeitreise durch das Wuppertal des Jahres 2029 machen kann.

Um den Besuchern ein möglichst authentisches Erlebnis zu bieten, beginnt die virtuelle Fahrt wegen einer Weichenstörung in Oberbarmen mit 20-minütiger Verspätung und wird auf halber Strecke wegen Problemen mit dem Betriebssystem unterbrochen.

Während der Wagen kurz vor der Station Döppersberg/Hauptbahnhof still am Gerüst hängt, können die Fahrgäste durch ihre VR-Brillen unten im Flussbett liegende E-Roller zählen oder die Poststraße hinunter gucken. Hier war vor 200 Jahren noch Wuppertals Einkaufsmeile, 2029 blickt man auf rekonstruierte Grundmauern der noch viel älteren Burg Elberfeld, um die herum der Wind Heuballen über seit Monaten von keinem Menschen mehr betretene, verwitterte Pflastersteine fegt.

Ein übrig gebliebenes Werbeplakat empfiehlt den Shuttle-Service zum Outlet-Center in Remscheid-Lennep, das 2029 die einzige analoge Shopping-Möglichkeit im Bergischen Land darstellt. Alle anderen Einkäufe werden online erledigt und von Drohnen geliefert, die sich in überlasteten Flugkorridoren entlang der Talachse stauen. Weil es unterirdisch nicht geklappt hat, verlegen die Stadtwerke nämlich gerade ihre Fernwärmeleitungen in den Luftraum und sorgen dort für Verkehrsbehinderungen.

Ein Schild weist darauf hin, dass die Arbeiten voraussichtlich 2041 beendet sein werden ...

Bis die Tage!

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