Kommentar zur Trennung von Tanztheater und Intendant Wenn man auseinandergeht ...

Wuppertal · Das war ist ein kurzes „Gastspiel“. August 2022 trat der französische Choreograph Boris Charmatz sein Amt als Intendant des Wuppertaler Pina-Bausch-Tanztheaters an – jetzt, im August, wird diese Zeit wieder beendet sein.

Boris Charmatz.

Foto: Christoph Petersen

Einvernehmlich habe man sich entschlossen, das Vertragsverhältnis zum Ende der aktuellen Spielzeit aufzulösen, so heißt es in einer recht kurzen Pressemitteilung. Lang sind darin nur die Gruß- und Kommentar-Adressen von Charmatz selbst bis zu NRW-Kulturministerin Ina Brandes. Nachzulesen auf wuppertaler-rundschau.de.

In diesem gesamten Text fällt selbstverständlich kein böses Wort. Man dankt sich gegenseitig ausführlich, bedauert die Trennung, wünscht sich allerseits nur das Beste. Und wen man auch fragt nach den „wahren“ Hintergründen: Die Lippen sind versiegelt. Das gegenseitig vereinbarte Stillschweigen hält. Das ist bemerkenswert.

Bemerkenswert ist allerdings auch, dass eine Person in der „Abschieds-Pressemitteilung“ nicht vorkommt: Salomon Bausch, der Sohn der großen Choreographin – und als Erbe Inhaber aller Rechte an all ihren Stücken. Was jemand mit und aus einem Pina-Bausch-Stück machen kann, machen darf – darauf hat Salomon Bausch ein aufmerksames Auge. Ich kann das gut nachvollziehen.

Ich habe die Zeit, seit Boris Charmatz Tanztheater-Intendant ist, als Journalist mitverfolgt. Außerdem auch die Phase seiner Vorgängerin Bettina Wagner-Bergelt, die das Tanztheater ruhig und unaufgeregt durch die aufgewühlte See steuerte, für die der wesentlich von der damaligen Stadtspitze verursachte Adolphe-Binder-Scherbenhaufen gesorgt hatte.

Mein Eindruck vom Tanztheater war ein seltsamer: Es kam mir immer vor, als führe es auf zwei Gleisen. Gleis Nr. 1, auf der das Programm der Pina-Bausch-Stücke läuft. Gleis Nr. 2, auf dem Boris Charmatz, oft auch mit Leuten aus seinem eigenen französischen Tanz-Pool „Terrain“, irgendwie (verzeihen Sie mir dieses schwurbelige Wort) allein unterwegs war.

Stefan Seitz.

Foto: Bettina Osswald

Während dieser Zeit gab es das großartige und atemberaubende „Liberté Cathédrale“ im Nevigeser Mariendom. Außerdem fanden die großen und publikumsintensiven Open-Air-Aktionen „Wundertal“ und Cercles“ statt. Und ein – wie ich fand – enttäuschender „Club Amour“-Abend, den allein sein dritter Teil, Pina Bauschs Klassiker „Café Müller“, rettete. Vieles darüber hinaus, was mit dem Namen Charmatz verbunden ist, fand in Frankreich statt.

Während in Wuppertal wunderbare Neueinstudierungen beispielsweise von „Sweet Mambo“, „Água“, „Das Stück mit dem Schiff“, „Palermo, Palermo“, „Kontakthof“ oder „Nelken“ über die Bühne gingen. Und bei stets ausverkauftem Opernhaus immer wieder unter Beweis stellten, dass das Ensemble selbst ja das am allerbesten kann, wovon immer die Rede ist: Das Erbe Pina Bauschs gleichzeitig zu bewahren und es lebendig in die Zukunft zu führen. Für ein buntes und übrigens auch deutlich junges Publikum.

Ich will nicht verschweigen, dass es mehrere Gespräche zum Thema all dieser Neueinstudierungen gegeben hat, bei denen mich Menschen sorgenvoll fragten: „Da wird der neue Intendant doch seine Finger davon lassen, oder?“ Hat er ja auch. Zum Glück.

Ich hatte stets das ungute Gefühl, dass Pina Bausch und Boris Charmatz nicht zusammenpassen. Die künstlerische Sprache ist eine andere. Und jemanden, der zwischen diesen beiden Sprachen übersetzt, konnte ich nirgendwo erkennen. Das muss ja auch, ich kann es mir nicht anders vorstellen, Auswirkungen auf die Wuppertaler Tänzerinnen und Tänzer gehabt haben.

Wovon Wuppertals Tanztheater lebt – und wovon es auch weiterhin leben wird – ist das Werk von Pina Bausch. Wir reden da von deutlich über 40 Stücken. Unzählige davon hat man auch dann noch nie gesehen, wenn man schon lange in der „Szene“ unterwegs ist. Und unzählige davon würde man sehr gerne einmal sehen. Wieder andere sehr gerne endlich einmal wieder. „Ten Chi“ etwa mit dem Kirschblütenregen. Oder „Wie das Moos auf dem Stein“, das Chile-Stück.

Da würden und werden – so wie jetzt bei den Neueinstudierungen auch – viele neue Tänzerinnen und Tänzer dabei sein. Und das ist gut so. Das Werk von Pina Bausch ist ja kein Museum, sondern ein lebendiger Reigen von zutiefst menschlichen Bildern. Dieser Reigen wird sozusagen nie enden. Weil ja das Leben an sich, auf das Pina Bausch so unverwechselbar geschaut hat, auch nicht endet.

Wirklich spannend wird jetzt, ob das Pina-Bausch-Zentrum eine lebendige Arena für all das sein kann.