Aufbewahrungsbeamter Robert Klammer Asservatenkammer: „Jeder Karton ist ein Schicksal“

Nach zwei Jahrzehnten in der Asservatenkammer ist der Aufbewahrungsbeamte der Wuppertaler Staatsanwaltschaft in den Ruhestand gegangen. Robert Klammer blickt im Top Magazin zurück auf ein Berufsleben zwischen Pistolen, Fahrrädern und Computern.

 Eingetütete Fälle soweit das Auge reicht – und auch Unverpackbares wie die Armbrust oben im Regal: Robert Klammer in der Asservatenkammer, die 20 Jahre lang sein Arbeitsplatz war.

Eingetütete Fälle soweit das Auge reicht – und auch Unverpackbares wie die Armbrust oben im Regal: Robert Klammer in der Asservatenkammer, die 20 Jahre lang sein Arbeitsplatz war.

Foto: Top Wuppertal/Mikko Schümmelfeder

Als er vor mehr als 20 Jahren bei der Staatsanwaltschaft anklopfte, war Robert Klammer (66) als alleinerziehender Vater in einer schwierigen Lebenslage. So schön es auch ist, die Kinder bei sich zu haben: Die Herausforderungen waren dennoch groß. Job und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen, das war schon damals nicht leicht. „Die Justiz hat mir diese Chance gegeben“, erinnert er sich an die Anfänge bei der Wuppertaler Staatsanwaltschaft, die ihn gleich zu Beginn schon zu den Asservaten geführt hatten.

Anfangs noch notiert in Aufbewahrungsbüchern, fand später alles seinen Weg vom Analogen ins Digitale. „Es war eine Heidenarbeit“, erinnert sich Robert Klammer daran, dass damals jedes Asservat nochmals in die Hand genommen werden musste, um es zu katalogisieren. „Jeder Karton ist ein Schicksal“, weiß er. Beinahe drei Jahrzehnte war er als Aufbewahrungsbeamter im Dienst.

Blick in die Wuppertaler Asservatenkammer
12 Bilder

Blick in die Asservatenkammer

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Foto: Top Wuppertal/Mikko Schümmelfeder

Seit Mitte März ist er pensioniert, an seine ersten Monate im Asservatenkeller erinnert er sich noch gut. Da habe es einen Stuhl gegeben, auf dem jemand umgebracht worden sei – der andauernde Blick auf das Möbelstück habe ihn schon bewegt. Und was ist mit den Bildern, die dann im Kopf ablaufen? „Die gab es bei mir nicht, andernfalls wäre ich im falschen Job gewesen“, sagt er.

Wenn es bei den Straftaten um Kinder gehe, treibe ihn das schon um. Auch wenn ein Verbrechen über Wochen in den Medien sei, habe er ein anderes Gefühl zu dem, was davon bei ihm in Kisten und Tüten landet. Davon wiederum gibt es Tausende, allein im vergangenen Jahr sind knapp 9.000 Asservate hinzugekommen. Mindestens doppelt so viele stammen dazu noch aus alten Fällen, die noch nicht entsorgt werden dürfen.

Am Morgen des Besuchs in der Asservatenkammer waren hingegen schon beinahe zehn Messer im „Müll“ gelandet – wobei es den dort eigentlich gar nicht gibt. „Gewehre werden in einen Trichter geschoben und in der Mitte gespalten“, beschreibt Robert Klammer die Abläufe bei der Mülltrennung. Dabei wuchtet er eine Kiste mit Pistolen auf den Tisch, die „Ausbeute“ der letzten drei Monate.

Von der Walther PPQ bis zur Langwaffe ist alles dabei. Oben auf dem Regal eine frei verkäufliche Armbrust, bei deren Anblick man darüber nachdenkt, wie es sein kann, dass jeder mit so etwas aus dem Laden spazieren kann. Gleich nebenan originalverpackte Wurfmesser, vermutlich die Beute aus einem Diebstahl. Und überall Handys und Computer, von denen einige in besonders gesicherten Räumen aufbewahrt werden müssen.

Dabei gehe es meist um Kinderpornografie, weiß Robert Klammer. Den Überblick zwischen all den Kisten, Tüten, Fahrrädern und Pokertischen durfte er als Aufbewahrungsbeamter keinesfalls verlieren. Macht die Justiz einen Fehler, hat das fatale Folgen für den Prozess. Kann einem Straftäter sein kriminelles Tun nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, muss er freigesprochen werden.

Apropos Fahrräder: Davon gibt es so einige, die ihren Weg vom Dieb zurück zum rechtmäßigen Besitzer nicht mehr finden. „Die meisten Leute schreiben sich die Fahrgestellnummer nicht auf“, so Robert Klammer. Weggeworfen werden sie dennoch nicht, die meisten Räder gehen dann an Sozialwerke. Manches werde auch bei Justiz-Auktionen an den Mann oder die Frau gebracht. Immer häufiger unter den Asservaten: E-Bikes und Elektroroller. „Die versuchen damit schneller zu sein als die Polizei“, schüttelt Klammer den Kopf über so viel kriminellen Einfallsreichtum.

Und ja, manches werde auch sofort und ohne Umschweife entsorgt, dazu gehören vor allem in Rucksäcken aufgefundene Lebensmittel. Davon hängen so einige an den Regalen, gefüllt mit Alltagskram und Diebesgut. Auf seinen Arbeitstag angesprochen, sagt Robert Klammer: „Wir schauen hier jeden Tag in den Mülleimer der Gesellschaft.“

Er habe schon immer gewusst, was er in der Hand habe. Und es habe durchaus so einiges gegeben, was ihn besonders bewegt hat. Allem voran die Kapitalverbrechen, bei denen Menschen zu Tode gekommen sind. In der Nähe dieser Asservate werde „besonders leise“ gearbeitet. Dazu gehören auch die Springmann-Morde, noch immer werden die Beweisstücke aufbewahrt. Das Drama von damals, verstaut unter anderem in einem Hochregallager und umgeben von Mord und Totschlag aus den vergangenen Jahren. Manche Urteile sind mittlerweile rechtskräftig und die Asservate können „entsorgt“ werden.

Das gilt für viele andere Fälle nicht, sie lagern als sogenannte „Cold Cases“ seit Jahrzehnten in einem der Asservatenräume. Davon gibt es mehrere, der größte reicht über zwei Etagen. Dort musste Robert Klammer mit dem Gabelstapler rangieren

– unter anderem auch, um Utensilien aus Hasch-Plantagen zu verstauen: Lampen, Belüftungsrohre und all das, was man für die illegale Gartenarbeit braucht. Ein paar Türen weiter wird die beschlagnahmte Ernte aufbewahrt. In Tüten verpackt und eher unspektakulär. Aber alles, was die moderne „Drogenküche“ so hergibt. Die „Gärtner“ warten entweder noch auf ihren Prozess.

Oder sie sind bereits verurteilt und die Sache liegt noch beim Bundesgerichtshof, der über die Revision zu entscheiden hat. Gab es Verfahrensfehler, wird alles noch einmal neu aufgerollt – und die Asservate kommen nochmals auf den Richtertisch. Von all dem hat Robert Klammer genug gesehen. Er freut sich auf seinen Ruhestand.

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