Seenotrettung auf dem Mittelmeer Lindh: „Die tödlichste Außengrenze der Welt“

Wuppertal · Corona, Hochwasser, Afghanistan – das Thema der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer ist in den Hintergrund geraten. Der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh war jetzt bei seiner schon dritten Seenotreise in Palermo auf Sizilien, wo das 50 Meter lange Rettungsschiff „Sea-Eye 4“, das schon 400 Menschen aufgenommen hat, im Hafen liegt.

 Helge Lindh im Gespräch mit Leoluca Orlando, dem Bürgermeister der sizilianischen Hauptstadt Palermo.

Helge Lindh im Gespräch mit Leoluca Orlando, dem Bürgermeister der sizilianischen Hauptstadt Palermo.

Foto: Büro Leoluca Orlando

Die „Sea-Eye 4“ ist zurzeit in Palermo festgesetzt, und kann nicht starten. Die italienische Hafenstaatskontrolle mache, so Lindh, der vier Tage an Bord bei Reinigungs- und Reparaturarbeiten mithalf, das Auslaufen durch eine umfangreiche Mängellisten-Bürokratie bewusst unmöglich.

Der Hintergrund: „Es gibt für Italien, aber auch Malta, Spanien und Griechenland, wo die Flüchtlinge ankommen, keine gesamteuropäische Rückendeckung oder Entlastung. Für das ohnehin wirtschaftlich gebeutelte Sizilien zum Beispiel ist das sehr hart“, so Lindh im Gespräch mit der Rundschau. Und der Abgeordnete weiter: „Die ‚Sea-Eye’ kann nicht raus, also werden Menschen ertrinken oder von der libyischen Küstenwache abgefangen und in die dortigen ausgesprochen üblen Lager gesperrt.“ Dass es in Kürze eine europäische Lösung für die Frage des Umgangs mit Mittelmeerflüchtlingen gibt, glaubt Lindh nicht mehr. Deswegen müsse man das Thema unbedingt pragmatisch und humanitär angehen. Es gehe darum, das Ertrinken zu verhindern, die Menschen zu retten – und sie dann in Asylverfahren zu bringen, deren Prüfung je nach Fall positiv oder negativ ausgehen könne.

Helge Lindh: „Wer in Seenot ist, wird gerettet. Das ist ein eiserner Grundsatz aller Seeleute. Es muss Schluss seiner mit der Kriminalisierung der privaten Seenotrettung und die Bürokratie-Schikane muss aufhören.“ Die Seenotretter, die er vor Ort gut kennengelernt habe, seien erfahrene Praktiker mit ethischer Perspektive, die sich auf ihren Schiffen um medizinische Betreuung, funktionierende Sanitärverhältnisse und gute Nahrungsmittelversorgung kümmern – keineswegs Schlepper oder Schleuser.

Lindhs Position ist klar: „Das Mittelmeer ist die tödlichste Außengrenze der Welt. Wir brauchen eine europäische, staatliche Seenotrettung. Die Agentur ‚Frontex’, die für die Sicherung der EU-Außengrenzen zuständig ist, rettet ja nicht, sie bringt die Leute sogar zur libyschen Küstenwache zurück.“

 Die Besatzung der „Sea-Eye 4“ vor dem Seenotrettungsschiff im Hafen von Palermo.

Die Besatzung der „Sea-Eye 4“ vor dem Seenotrettungsschiff im Hafen von Palermo.

Foto: Büro Helge Lindh

Helge Lindh kritisiert: „Die staatlichen Stellen rund ums Mittelmeer müssten für Recht und Ordnung sorgen, doch oft ist das Gegenteil der Fall. Und bei der großen EU-Lösung sind es Polen, Ungarn, Frankreich und leider auch Deutschland, die immer wieder bremsen und abwarten. Also muss wenigstens in Einzelsituationen konkret geholfen werden. Das ist sehr mühsam und sehr zäh.“

Dem Szenario einer „Flüchtlingsflut“, die angeblich übers Mittelmeer komme, stellt der Wuppertaler Politiker Zahlen und Fakten gegenüber: „Es geht hier um ein paar hundert oder höchstens ein paar tausend Menschen pro Jahr. Und dass es für jeden automatisch Asyl gebe, stimmt einfach nicht.“

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