Ev. Kirchenkreis Wuppertal Waltraud Hummerich: Von der Schule in die Gemeinde

Wuppertal · Erst 28 Jahre Schule, jetzt für ein Jahr in die Gemeinde: Waltraud Hummerich mag Herausforderungen. Auch in der Rente, wie sie im Interview erzählt.

Waltraud Hummerich.

Waltraud Hummerich.

Foto: Sabine Damaschke

Die Schule hat wieder begonnen. Überfällt Sie nach so langer Zeit im Schuldienst etwas Wehmut?

Hummerich: „Ein bisschen schon, denn ich habe immer gerne als Schulpfarrerin gearbeitet, obwohl es für mich ein Quereinstieg war. Ursprünglich wollte ich Gemeindepfarrerin werden. Ich komme aus Emden und habe in Ostfriesland mein Vikariat gemacht. Nach fünf Jahren als Studieninspektorin am Wuppertaler Predigerseminar und drei Jahren bei einem Frauenforschungsprojekt in Göttingen habe ich 1995 am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium und ab 2001 am Carl-Duisberg-Gymnasium in Wuppertal als Pfarrerin im Schuldienst angefangen.

Damals dachte ich, dass der Wechsel aus der Erwachsenenbildung ins Gymnasium keine große Sache ist. Aber es war dann doch ganz anders mit der Wissensvermittlung (lacht). Den Fünftklässlern habe ich im Religionsunterricht viel zu lange Texte vorgelegt. Ich war damals oft im Schulreferat des Kirchenkreises, um mir Tipps zu holen.“

Wie haben die Schülerinnen und Schüler auf Sie als Pfarrerin reagiert?

Hummerich: „Oft haben sie mich gefragt, wo denn meine Gemeinde ist. Und dann habe ich immer gesagt: Na, ihr seid das jetzt! Ich musste den Kindern und Jugendlichen erklären, dass ich zwar keine ausgebildete Lehrerin bin, aber auch Religionsunterricht geben darf – wie die Pfarrerinnen und im Konfirmandenunterricht.

Damit hatte ich stets eine Sonderrolle. Ich konnte Kirche an die Schule bringen – und das habe ich häufiger und gerne gemacht, indem ich zum Beispiel die Gefängnis- oder Klinikseelsorger eingeladen oder an Gedenktagen zur NS-Zeit mit den Schülerinnen und Schüler die Ausstellung zur Barmer Theologischen Erklärung besucht habe.“

Wie hat sich Schule für Sie in den 28 Jahren verändert?

Hummerich: „Früher gab es deutlich mehr Schulgottesdienste und zwar nicht nur zu Beginn oder Ende eines Schuljahres, sondern auch zum Advent oder zu Ostern. Das Interesse am Religionsunterricht war größer, und es war selbstverständlicher für Kinder und Jugendliche, daran teilzunehmen. Ich habe früher sehr viel mehr engagierte Debatten über ethische oder religiöse Fragen erlebt.

Es gab Unterrichtsstunden zum Thema Geschlechterrollen oder Todesstrafe, in denen die Schülerinnen und Schüler schon drei Minuten nach meiner Einführung ins Thema zu diskutieren anfingen und mein ganzes Konzept damit über den Haufen warfen (lacht). Das habe ich in den letzten Jahren viel seltener erlebt. Viele Schülerinnen und Schüler beantworten die Fragen individueller. Oft höre ich bei kontroversen Themen den Satz: „Das muss jeder für sich entscheiden.“

Haben Schülerinnen und Schüler heute mehr Vorbehalte gegenüber Religion und Kirche?

Hummerich: „Ich erlebe viele durchaus als offen. Die Theodizee-Frage, warum Gott das Leid in dieser Welt zulässt, beschäftigt sie auch heute noch. Aber das Wissen rund um Religion und Glaube ist deutlich zurückgegangen. Wir müssen viel anschaulicher und konkreter sein, wenn wir darüber reden.“

Zwar sind rein theoretische Texte auch nötig, aber deutlich unbeliebter. Der Unterrichtsstoff muss mit der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler zu tun haben – und auch mit meiner. Mehr als früher wurde ich in den letzten Jahren gefragt, was ich zu bestimmten Themen denke, warum ich an Gott glaube und was mir mein Glaube persönlich bedeutet.“

Als Pfarrerin im Schuldienst sind Sie nicht nur Lehrerin, sondern auch Seelsorgerin. Wie wichtig war Ihnen das?

Hummerich: „Ich habe das sehr wichtig genommen und deshalb auch noch eine Ausbildung in systemischer Beratung gemacht. Mobbing hat es immer gegeben, aber die Digitalisierung bietet mehr Möglichkeiten, andere auszugrenzen und zu diskriminieren. Mobbing spielt in den Schulen heute eine größere Rolle – und beschäftigt alle mehr als früher.

Auch Ängste und Konzentrationsstörungen haben bei den Schülerinnen und Schüler zugenommen, insbesondere in der Corona-Zeit. Gleichzeitig fehlen Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Schulpsychologinnen und -psychologen. Keine Frage, die Schulen sind heute in einer schwierigen Situation. Auch im Unterricht kamen viele Lebensfragen zur Sprache, was auch eine Form der Seelsorge ist.“

Ähnlich wie die Kirchengemeinden, die mit weniger Mitgliedern, Pfarrpersonal und Geld auskommen müssen. Warum unterstützen Sie jetzt die Gemeinde Wichlinghausen-Nächstebreck statt es sich gemütlicher zu machen?

Hummerich: „Ich mag Herausforderungen. Im Schuldienst habe ich viel Gelassenheit und Geduld gelernt und erfahren, wie sich mit guten Ideen und Kreativität Neues gestalten lässt. So oft bin ich in meinem Berufsleben gefragt worden, ob ich nicht wieder als Gemeindepfarrerin arbeiten möchte. Für die nächste Zeit ist das eine Aufgabe, auf die ich mich sehr freue. Damit schließt sich ein Kreis, der mich von Emden nach Wuppertal geführt hat. Gemütlich kann ich es mir immer noch machen.“

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