Ein Gespräch mit Rainer Widmann und Maik Ollhoff „Sowas wie die Stiefenkel von Coltrane“

Wuppertal · Sie kennen sich seit rund 15 Jahren. Begegnen sich seither in der Wuppertaler Musikszene immer wieder. Schätzen die Musik, schätzen sich. Im vergangenen Jahr haben Rainer Widmann (68) und Maik Ollhoff (36) mit vielen anderen Jazzliebhabern den Jazzclub im "Loch" gegründet.

 33 Lebensjahre liegen zwischen Rainer Widmann und Maik Ollhoff. 48 Jahre zwischen John Coltranes Album „Olé“ und Hudson Mohawkes „Butter“. Und doch sind sich beide musikalisch ganz nah.

33 Lebensjahre liegen zwischen Rainer Widmann und Maik Ollhoff. 48 Jahre zwischen John Coltranes Album „Olé“ und Hudson Mohawkes „Butter“. Und doch sind sich beide musikalisch ganz nah.

Foto: Max Höllwarth

Eine gemeinsame Leidenschaft. Ein Gespräch über musikalische Neugier, Prägung und
über das, was verbindet — über die Generationen hinweg.

Was passiert, wenn man zwei Musikverrückten sagt, sie sollen zum Treffen ihre fünf Lieblingsalben aller Zeiten mitbringen? Antwort: Beide kommen mit 13 Alben im Gepäck — und einer Single. "Die ersten fünf wusste ich sofort", sagt Rainer Widmann amüsiert. "Aber dann fängt man an zu grübeln. Weil es doch so viele Alben gab, die geprägt haben und wichtig waren." Widmann, Jahrgang 1949, geboren im schwäbischen Städtchen Kirchheim unter Teck, war Stadtplaner bei der Stadt Wuppertal, verantwortlich für die Nordbahntrasse. Seit 2015 ist er Rentner. Die Liebe zur Musik, zum Jazz, die war früh ausgeprägt. So organisierte er Mitte der 1970er eine Jazz-Reihe in der "Börse", ist Vorsitzender des Vereins Jazz AGe Wuppertal. Seine musikalischen Antennen immer auf Empfang. "Zu Studienzeiten", erzählt der Mann mit dem Faible für Schiebermützen, "hatte ich einen Freund, der in Düsseldorf in einer WG lebte. Eines Tages, als ich ihn besuchte, da lief in einem der Zimmer John Coltrane, in einem anderen Kraftwerk. Ich fand beides auf Anhieb unglaublich faszinierend und habe mir sofort beide Platten geholt." Beide Alben haben es übrigens in seine Top 11 geschafft. Neben Frank Zappa "Got Rats", Soft Maschine "Third" oder Wolfgang Dauners "Et Cetera".

Geht es um Musik, kommt Widmann schnell ins Plaudern. Er erzählt von Konzerten: "King Crimson habe ich in London gesehen. Ich war wahnsinnig beeindruckt. Und als ich bei Jimi Hendrix war, habe ich nicht gedacht, dass man 40 Jahre später immer noch über ihn redet." Viele Bands und Musiker habe er schon in jungen Jahren gesehen, wirklich beständig begleitet durch die Jahre habe ihn aber doch nur der Jazz. Maik Ollhoff nickt. Die Künstler über die Rainer Widmann spricht, kennt er. Natürlich. Er hat sie auch gehört. Viele Jahre später, in den 1980ern im Wohnzimmer seiner Eltern. "Wir haben alle dazu abgezappelt", erinnert er sich amüsiert. Pink Floyd war damals dabei. Die "Wish you were here" hat der 36-Jährige für seine Top 13 ausgewählt. "Es hätte aber auch die ,Dark Side of the Moon' sein können", sagt er. "Die musikalische Prägung durch meine Eltern war ziemlich unterbewusst. Sie hatten einen guten Geschmack, aber nicht übermäßig ausgefallen."

Die Musik spielt auch in seinem Leben früh eine Rolle. Die Eltern melden Maik in der Musikschule an. Später studiert er Jazz-Schlagzeug und Kunstmanagement, tritt in einigen Ensembles auf, wirkt bei Sessions mit und, vor allem, erfindet immer wieder eigene Musikreihen. Musikalisch Fehltritte? Gibt es trotzdem. "Die erste Maxi-CD war Rednex ,Cotton Eye Joe'", erzählt Ollhoff, der seit einem Jahr auch das "Loch" im ehemaligen Bücherschiff Elberfeld mit Leben füllt. "Es waren die 90er, da lief sowas", lacht er entschuldigend.

Mit dem, worüber Maik Ollhoff jetzt sprechen wird, hat dies jedoch nichts zu tun. Da wäre etwa Flying Lotus "Reset", auf die er über Myspace aufmerksam wurde. "Da ging für mich ein ganz neues Universum auf." "Man könnte sagen, Flying Lotus sind sowas wie die Stiefenkel von Coltrane", beschreibt Widmann das Verhältnis. "Eine ganz neue Form zeitgenössischen Jazz'." Ein weiterer Favorit aus Ollhoffs Bestenliste: Hudson Mohawke "Butter". Bewertung: ziemlich experimentelles Beatzeug. "Die haben das Zeug zum Klassiker zu werden", glaubt er. "Die Musik enthält vieles, das aktuell passiert und hat großen Einfluss auf andere." Widmann ist neugierig geworden und fotografiert das Cover: "Das interessiert mich!"

Auch wenn die Alben und die Künstler andere sind, eins ist ihnen gemeinsam: "Ich finde Künstler spannend, die zwischen ganz unterschiedlichen Welten unterwegs sind", beschreibt Ollhoff seine Vorliebe. Widmann ergänzt: "Und genau da trifft es sich mit dem Jazz!" Und wer musikalisch auf so ähnlichen Spuren wandelt, der findet auch außerhalb davon schnell zu einer gemeinsamen Sprache. "Man spürt bei Rainer schnell, dass er nicht einfach Musik von früher hört — er interessiert sich auch immer für neue Sachen", sagt der Jüngere. Und der Ältere sagt: "Das Alte interessiert mich nicht." Umgekehrt erlebt Ollhoff im "Loch", wie junge Leute heute Herbie Hancock auflegen und alle dazu abgehen. "Vielleicht ist das so ein typisches Wuppertal-Ding", überlegt er. "Dass sowas hier immer möglich ist." Hier in dieser Stadt von Brötzmann und dem Freejazz. Der Beatbox, die Generationen musikalisch sozialisiert hat. Der Stadt, in der Jazzliebhaber seit einem Jahr immer samstags eine Anlaufstelle im "Loch" haben. Wo sich zugleich auch junge Leute mit ihren Ideen ausprobieren können. "Der Jazz lebt dauerhaft fort", da sind sie sich einig. "Und seine Einflüsse kann man überall hören."

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