Heinrich-Böll-Straße Klage wegen Hochhaus-Räumung größtenteils abgewiesen

Wuppertal · War die plötzliche Zwangsräumung eines elfstöckigen Hochhauses in der Heinrich-Böll-Straße im Juni 2017 durch die Stadt Wuppertal rechtens? Oder war es eine überflüssige und unzulässige Panik-Entscheidung nach dem spektakulären Brand des Grenfell-Towers in London mit über 80 Toten?

 Das Hochhaus in der Heinrich-Böll-Straße.

Das Hochhaus in der Heinrich-Böll-Straße.

Foto: Christoph Petersen

Um diese Frage klären zu lassen, hatte eine Berliner Immobilienfirma als Eigentümerin des Gebäudes vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht gegen die Stadt Wuppertal geklagt.

Dort wurde die Klage nun zum überwiegenden Teil abgewiesen. Allein bei der Nutzungsversagung nach der Evakuierung rügte das Gericht formale Mängel. Es habe keinen Zeitdruck mehr gegeben und daher eine Anhörung der Eigentümergesellschaft geben müssen – das hatte die Stadt offenbar versäumt. Grundsätzlich sei deren Anordnung zur sofortigen Evakuierung jedoch rechtens gewesen.

Zur Urteilsbegründung hat das Gericht ausgeführt, es habe im Zeitpunkt der Räumung eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben der Bewohner bestanden, die ein sofortiges Eingreifen des Ordnungsamtes gerechtfertigt habe. Da das vorhandene Sicherheitstreppenhaus aus den Wohnungen der einzelnen Etagen nur über offene Balkone erreichbar gewesen sei, sei im Falle eines Brandes, der jederzeit eintreten könne, nicht gewährleistet gewesen, dass die Bewohner in das Treppenhaus gelangen und aus dem Gebäude flüchten können. Bei einem Wohnungsbrand oder einem Brand im Sockelbereich des Hauses wäre eine Brandausbreitung über die mit brennbaren Kunststoffpaneelen verkleidete Fassade möglich gewesen. Die Gefahr sei dadurch verstärkt worden, dass die Absturzsicherung der Balkone aus Holz bestanden habe. Da bei einem Brand Leben und Gesundheit der Hausbewohner auf dem Spiel gestanden hätten, habe die Stadt Wuppertal – auch unter dem Eindruck des verheerenden Brandereignisses am Grenfell Towerin London –die Räumung im Wege des Sofortvollzuges anordnen dürfen.

Fakt ist, dass sowohl in der Heinrich-Böll-Straße als auch beim Grenfell-Tower eine vorgehängte Fassade zur Wärmedämmung verbaut wurde, die den gültigen Brandschutzbestimmungen nicht genügte. Im Falle des über 60 Jahre alten Wuppertaler Hochhauses war es vor allem die rückseitige Isolation aus Holzwolle, die zwar preiswerter Standard war, aber schon damals nicht den Anforderungen entsprach. Durch Verweis auf die Baugenehmigung war das lange Zeit nicht angreifbar – bis eine neue DIN-Norm veröffentlicht worden war und durch Vorschriften zur Isolationssanierung bereits bestehender Gebäude ein Umdenken eingesetzt hatte. Selbst diese minimalen Vorschriften hatten jedoch in den Augen der Brandsachverständigen nicht ausgereicht: Das Überspringen von Flammen über mehrere Stockwerke, beschleunigt durch den Kamineffekt des Lüftungsspalts zwischen Hauswand und vorgehängter Fassade, wurde in mehreren Fernsehberichten drastisch vorgeführt. Eine verirrte Feuerwerksrakete zu Silvester könne hier, so die Experten, in Sekunden zur Katastrophe führen.

Im Fall des Hochhauses in der Heinrich-Böll-Straße waren auch Treppenhaus und Notausgänge von dieser leicht brennbaren Isolation umhüllt. Seit 2010 hatte sich die Stadt Wuppertal mit Aufforderungen und Zwangsgeldern nachdrücklich darum bemüht, den jeweiligen Besitzer der Immobilie zur unbestritten kostspieligen Sanierung zu zwingen. Aber immer, wenn es teuer zu werden schien, wechselte die Immobilie den Besitzer und die schwerfällige Verwaltungs-Prozedur musste von vorne beginnen.

Der Brand des Grenfell-Towers in London brachte schlussendlich das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. Öffentlichkeit und Verwaltung waren sensibilisiert - so etwas wollte man keinesfalls riskieren. Die Stadtverwaltung versagte dem Eigentümer des Hochhauses in der Heinrich-Böll-Straße die Betriebsgenehmigung. Gab es doch in dem Hochhaus noch nicht einmal eine Brandmeldeanlage, die automatisch hätte Alarm schlagen können! Die Verfügung der sofortigen Evakuierung nur zwei Wochen später schien unaufschiebbar. Das sah die Eigentümerin des Hauses naturgemäß anders.

Zwar wurde umgehend das Mindestmaß an Sicherheitsauflagen abgearbeitet, wozu unter anderem die Entfernung der Fassadenteile über dem Treppenhaus und den Notwegen, sowie das Anbringen einer Brandsperre gehörten. Die 72 Bewohner, die sich zwischenzeitlich in Eigenregie eine Bleibe gesucht hatten oder von der Stadt untergebracht worden waren, könnten nach vier Wochen wieder in ihre Wohnungen zurückkehren.

Danach waren bei der Eigentümergesellschaft allerdings Kostenbescheide ins Haus geflattert. Abgerechnet wurden von der Stadt nicht nur die Zwangsräumung, sondern auch die anderweitige Unterbringung der Mieter und der Wachdienst. Letzteren hatte man engagiert, um Einbrüche, Plünderungen und schlimmstenfalls auch Brandstiftung zu verhindern.

Aus Sicht der Eigentümergesellschaft habe die Räumungsaktion überfallartig stattgefunden, sei rechtlich unverhältnismäßig gewesen und eine Gefahr im Verzug sei nicht erkennbar gewesen. Das sah das Verwaltungsgericht nun anders – die von der Eigentümergesellschaft angestrebte Zivilklage auf Schadensersatz dürfte damit jedenfalls auf wackeligen Beinen stehen.

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