In der Kirchlichen Hochschule Abschiedsvorlesung von Schneidewind: Brillanz und Bullshit

Wuppertal · Standing Ovations gab es für Oberbürgermeister Uwe Schneidewind während seiner fünfjährigen Amtszeit eher nicht. Bei seiner Abschiedsvorlesung war das ganz anders.

Großer Beifall zum Abschied: Uwe Schneidewind nach seinem Auftritt auf der Hardt.

Foto: Wuppertaler Rundschau/rt

Abschiedsvorlesung? Das ist für Professoren ein etabliertes Format, für Oberbürgermeister aber völlig ungewöhnlich. Schneidewind ist bekanntlich noch wenige Tage beides und entschied sich ganz bewusst dafür, neben seinem offiziellen Ausstand nächste Woche auch noch einen intellektuellen zu geben – weil er sich in den letzten fünf Jahren in dieser Stadt nicht nur konkret handelnd, sondern immer auch nachdenkend bewegt habe. Resultat war der Auftritt am Rednerpult im zu diesem Anlass aus allen Nähten platzenden Audimax der Kirchlichen Hochschule auf der Hardt.

Gekommen waren bei Weitem nicht nur eingefleischte Anhänger des mit CDU-Hilfe inthronisierten Grünen OBs, der keineswegs die von manchen vielleicht erwartete Generalabrechnung mit der Wuppertaler Lokalpolitik ablieferte, die ihn bekanntlich weit ins Abseits gestellt hatte.

Stattdessen hielt er einen brillanten akademischen Vortrag über das schwierige Verhältnis zwischen Wissen und Macht: Sein Gedankenkonstrukt lieferte sehr anschauliche Erklärungsmuster für die erschreckenden anti-demokratischen Entwicklungen in aller Welt und vor unserer Haustür, die manchen Aha-Effekt im Publikum auslösten.

Zum Beispiel im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen „Unwahrheit“, „Lüge“ und „Bullshit“ in der politischen Kommunikation. Schneidewinds These: „Unwahrheit spricht jemand, der nicht die Wahrheit sagt. Dabei kann es gut sein, dass dies aus Unkenntnis über die wahren Zusammenhänge geschieht. Wer lügt, sagt bewusst die Unwahrheit, um sein Gegenüber zu täuschen. Aber sowohl bei Unwahrheit als auch bei der Lüge bleibt Wahrheit die Referenz und entscheidende Unterscheidungs-Kategorie. Bei Bullshit ist Wahrheit keine Kategorie mehr. Die Äußerung von Bullshit folgt einer ganz anderen Logik. Hier geht es um die Vermittlung eines Gefühls, um die Vermittlung von Dominanz und Zugehörigkeit. Dafür ist dann alles sagbar. Donald Trump hat diese Form der Kommunikation eindrucksvoll perfektioniert.“

Mit Blick auf seine Amtszeit sieht Schneidewind Ähnliches in Wuppertal: „Wenn vor Ort über Tempo 30-Zonen, Parkraummanagement oder die möglichen Folgen einer Bundesgartenschau diskutiert wird, dann wird auch hier die Bullshit-Grenze im gesellschaftlichen und politischen Diskurs oft eng gestreift, wenn nicht überschritten.“ Das war deutlich!

Nach einer sehr plausiblen Beschreibung des Ist-Zustandes und der Bedingungen im Kampf offener Gesellschaften gegen extremistische und autoritäre Kräfte, kam Schneidewind am Ende vom großen Ganzen ins kleine Wuppertal zurück – und zur Frage, ob es eigentlich klug war, einen Wissenschaftler zum Oberbürgermeister zu machen

Seine Antwort: „Zuallererst kann man sagen: Wissenschaftler zu sein ist für eine erfolgreiche Ausübung des Amtes des Oberbürgermeisters weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung. Es kann sogar schädlich sein, wenn zu viel Energie in die Reflexion über Fragen geht, die einen eigentlich von dem abhalten, was ein gutes intuitives Oberbürgermeister-Sein ausmacht. Jedoch sind die Fragen, die die Transformationswissenschaft sich stellt, für die Gestaltung von offenen und zukunftsfähigen Stadtgesellschaften bedeutender denn je. Dass Wuppertal das erkannt hat, macht mich stolz auf Wuppertal. Auch wenn die Stadt und ich selbst mit der Ambition, deswegen gleich einen Transformationsforscher zum Oberbürgermeister zu machen, vielleicht etwas über das Ziel hinausgeschossen sind.“

Diese Erkenntnis verband er mit dem Blick voraus: „Ich wünsche meiner Nachfolgerin und allen, die diese Stadt politisch in den kommenden Jahren gestalten, dass sie das richtige Gleichgewicht von Wissen und Macht für der Stadt Bestes finden.“ Applaus an ...