Experiment im Schulzentrum Süd Eine Stadt in der Stadt: Kinder an die Macht

Wuppertal · In den Herbstferien spielten 110 Heranwachsende im Schulzentrum Süd das Leben einer Stadt nach. Überraschenderweise ziemlich erwachsen.

Beim Rat aller Kinder, täglich um 17.15 Uhr, stimmen die Heranwachsenden über neue Gesetze per Handzeichen ab.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Tomas Cabanis

Auf den Kopf gefallen sind die Kleinen nicht: Wer reich werden will, gründet eine Lotterie. Deshalb dauert es nicht lange, bis sich einige Einwohner des Experiments selbstständig machen und 75 Tacken als Hauptgewinn im Lostopf landen.

Marlene Sofia (10) absolviert den Führerschein, um mit dem Gokart durch die Halle zu düsen.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Tomas Cabanis

Tacken sind die Euros der Spielstadt. Es gibt sechs unterschiedliche Scheine: von einem Tacken, wertlos, bis 50 Tacken, wertvoll. Man tuschelt, dass ein Kind auf einen Schlag 124 Tacken ausgegeben hat. Wer das ist, bekommt nicht mal der „echte“ Reporter der Rundschau heraus, doch vielleicht ist es auch nur ein Gerücht. Am kommenden Tag steht es zumindest in der Tageszeitung des Minitaturlandes.

Moritz (9) aus Wuppertal, Oberbürgermeister der Kinderstadt.

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Die Kinderstadt der Katholischen jungen Gemeinde, die am Freitag (24. Oktober 2025) nach sechs Tagen endete, zeigt, wie der Nachwuchs im Alter von acht bis zwölf Jahren ein Stadtleben gestalten und regieren würde. Dabei stellt sich heraus, dass die Kleinen vieles wie die Großen machen. Die Spielstadt mutiert zur echten Stadt. Ein verstecktes Lob an die Erwachsenenwelt?

Carolin Boot (26), Projektleiterin der Kinderstadt.

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Herrschte am ersten Tag – bis auf einige Grundregeln der Betreuer – noch Chaos, entschieden sich die Kinder recht schnell für Ordnung, Struktur und Sauberkeit. Die Gokarts, das Fortbewegungsmittel der Stadt, verbannte das Stadtparlament auf gekennzeichnete Wege, inklusive Zebrastreifen. Die Folge: Stau auf der Straße. Und weil einige zu schnell umherrasten, organisierte eine Gruppe Kinder eine Sitzblockade à la „Letzte Generation“, wie in der echten Welt. Auch das Konfetti sorgt für Ärger – selbst die Kids stören sich am vielen Dreck.

Diskutiert wird darüber im Stadtparlament sowie im Rat aller Kinder, bei dem per Abstimmung mit Handzeichen neue Gesetze beschlossen werden. Auch ein Bürgermeister-Duo wählen die Kinder an die Stadtspitze: Die elfjährige Martha Emmi und der neunjährige Moritz gewinnen die Abstimmung und probieren den Beruf im lokalen Rampenlicht aus, obwohl sie im echten Leben keine Politiker werden möchten. Nachdem die beiden die Wahl gewinnen, antwortet Moritz auf die Frage, was er als Erstes umsetzen will: „Ich weiß es noch nicht.“ Im Wahlprogramm versprechen sie mehr Pflanzen, längere Öffnungszeiten sowie Urlaub während der Arbeitszeit.

Martha (11) aus Leverkusen, Oberbürgermeisterin der Kinderstadt.

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Doch ganz so spießig wie bei den Erwachsenen geht es dann doch nicht zu: Im Spieleparadies toben und hüpfen Kinder. In der Halle daneben riecht es nach frischgebackenen Waffeln und hier und da schmücken Girlanden die einzelnen Betriebe. Von denen gibt es 27 Stück, unter anderem eine Agentur für Glück und gute Laune, die etwa Witze veröffentlicht, oder ein Elterngarten, bei dem Mama und Papa beherbergt werden, wenn sie zu Besuch kommen. Klassische (Traum-)jobs stehen ebenfalls zur Wahl: von Feuerwehr über TV und Radio bis hin zu Bäckerei, Malerei oder Technikwerkstatt. Wer will, kann sein eigenes kleines Business starten.

Herrscher über den Tresor: Leo Kottmann (22), Leiter der Bank, bezahlt den Arbeitern ihren Lohn aus.

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Bei der Stadthymne singen die die Heranwachsenden „Wer hat denn hier die Aufsichtspflicht? Niemand!“ Die Betreuer stimmen anschließend im Chor ein: „Stimmt doch gar nicht.“ Rund 70 Aufseher, viele ehrenamtlich, viele Anfang 20 Jahre alt, kümmern sich um die Kinder. Carolin Boot von der Katholischen jungen Gemeinde leitet das Projekt, das seit 2010 alle drei Jahre in einer anderen Stadt im Einzugsgebiet des Erzbistums Köln stattfindet. Der Verein investiert rund 60.000 Euro in das Ferienprogramm. „Die Kinder lernen hier trockene Themen, wie Steuern, praktisch“, sagt die 26-jährige Boot.

Die Übernachtungskinder, wie etwa Jens Graff (11) aus Neuss essen abends in der Mensa, bevor das Abendprogramm startet.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Tomas Cabanis

Neu dieses Jahr ist, dass es ein bedingungsloses Grundeinkommen von 25 Tacken pro Tag gibt. Die Mehrzahl der Kinder besorgt sich trotzdem einen Job, bei dem jeder stündlich zehn Tacken verdient. Wer seinen Lohn nur spart, sieht alt aus, denn die Spielstadt leidet an einer Inflation von 25 Prozent. Da hat es die echte Welt ausnahmsweise mal besser.