Die Umgebung für all das ist ein dunkler, holzvertäfelter Raum. Es gibt Türen in nicht einzusehende Nebenzimmer – und einen kahlen Korridor nach hinten. Führt er ins Totenreich? Der Schluss legt es nahe.
Don Giovanni (Zachary Wilson), der seinen Diener Leporello (Oliver Weidinger) eher wie einen Knecht behandelt, steht zwischen drei Frauen: An Donna Anna (Margaux de Valensart) hat er sich beinahe vergangen, ihren Vater, den Komtur (Erik Rousi), im folgenden Streit getötet. Donna Elvira (Edith Grossman) versprach er die Ehe, verließ sie dann – und wird jetzt von ihr verfolgt. Das Bauernmädchen Zerlina (bei der Premiere: Natalia Labourdette) umgarnt er während deren Verlobungsfeier und schickt den Bräutigam Masetto (Agostino Subacchi) fort. Kurz gesagt: Kein feiner Herr, der Herr Giovanni.
Ihn singt mit angenehmem Bariton Zachary Wilson: Groß ist er und schön, und hat doch zu wenig Präsenz. Weder den Chef-Charmeur, noch den selbstbezogenen Wüstling, der am Ende folgerichtig zur Hölle fährt, nimmt man ihm aus vollem Herzen ab.
Ebenso wenig wie der Regie ihre 70er-Jahre-Idee: Erstens tut die Mode dieser Zeit sehr wenig für die, die sie tragen. Wird es darum im zweiten Teil auch bunter, weil quasi barocker? Und zweitens dringen die im Programmheft genannten Seventies-Eckpfeiler „Gleichberechtigung, Frauenpower und freie Liebe“ schlicht gar nicht durch.
Was dagegen große Durchschlagskraft hat, sind die Stimmen der drei Frauen: Margaux de Valensart schafft es einmal mehr, Gänsehaut zu erzeugen. Mehrfach! Natalia Labourdette, die vom Opernstudio NRW kommt, singt eine fröhlich-quirlige Zerlina, die vor Melodik und Lebensfreude nur so sprüht. Und Edith Grossman nimmt als wütende, aber immer noch verliebte Donna Elvira großen Stimmraum ein.
Ihnen folgen vier Herren: Der leider wie ein Buchhalter gekleidete Sangmin Jeon als Donna Annas Verlobter Don Octavio lässt einen bewegten, bewegenden Tenor hören, bleibt aber als Rächer des Anna-Vaters blass. Oliver Weidinger gestaltet die Rolle des Leporello facettenreich, gewitzt sowie auch sichtlich genervt von den Eskapaden seines Herrn. Und Agostino Subacchi als Zerlinas Verlobter Masetto ist ein erfrischender bass-starker Gast im Ensemble. Die Abrundung der Männerstimmen besorgt Wuppertals Bass Erik Rousi als Komtur, dem die Regie leider zu wenig Chancen gibt.
Applaus verdient Regisseurin Claudia Isabel Martin für den Sonder-Einsatz des Tänzers Ruben Reniers: Stumm, eindringlich und mit viel Eleganz verbindet er wie eine lebendige Meta-Ebene Szenen miteinander, zieht Blicke auf sich. Seine Rolle „Die Verführung“ zu nennen, ist aber klar zu kopflastig.
Das stets stark agierende Sinfonieorchester dirigiert Generalmusikdirektor Patrick Hahn selbst. Dabei „treibt“ die Mozart-Musik an vielen Stellen zu sehr. Warum so schnell, fragt man sich oft. Warum so selten zärtlich, lyrisch? Beispielsweise das zauberhafte Don-Giovanni-Zerlina-Duett „Là ci darem la mano“, das man auch als „Reich‘ mir die Hand, mein Leben...“ kennt, ist kaum angeklungen, da ist es schon wieder vorüber.
Was ebenso für den Schluss gilt: Die Verdammnis Don Giovannis kommt arg plötzlich. Und, bis auf Lichtblitze, sehr unspektakulär. Immerhin: Das holzvertäfelte Geschehen wird bei den farbenfrohen Maskenball-Szenen angenehm aufgelockert. Ansonsten: Dieser „Don Giovanni“ spielt nicht in seiner, sondern in einer falschen Zeit. Das tut ihm nicht gut.