Kommentar zur Wuppertaler Tafel Keine Kraft für Reformen und ein Damoklesschwert

Wuppertal · Das Problem kennt man vor allem aus der Wirtschaft und es ist fast tragisch: Erfolgreiche Unternehmer, die im Alter nicht loslassen können und so den richtigen Zeitpunkt für eine vernünftige Nachfolgeregelung in ihrem Betrieb verpassen, bringen damit ihr Lebenswerk womöglich in ernsthafte Gefahr. Ähnliches spielt sich gerade bei der Wuppertaler Tafel ab.

 Lebensmittelausgabe bei der Tafel.

Lebensmittelausgabe bei der Tafel.

Foto: Max Höllwarth

Ich wüsste niemanden in Wuppertal, der den unermüdlichen Einsatz von Tafel-Gründer Wolfgang Nielsen beim Auf- und Ausbau der Hilfsorganisation nicht anerkennt. Er wurde dafür nicht zuletzt mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Inzwischen ist der Mann 70 und gesundheitlich schwer gehandicapt, steht aber - inzwischen ganz allein - immer noch mit in der Satzung verbrieftem Vetorecht (!) in allen Geschäftsführungsfragen als Vorstand an der Spitze des Vereins. Und in dem knirscht es nicht erst seit dieser Woche erheblich.

Auch wenn man Kommentar-Wellen in den sozialen Medien immer mit einer gesunden Skepsis begegnen sollte, ist es schon bemerkenswert, auf welch breiter Front nach dem öffentlichkeitswirksamen Rücktritt des Tafel-Beirats jetzt darin über Missstände bei der Organisation berichtet wird. Es geht dabei immer wieder um vermeintliche Selbstbedienungsmentalität von Führungskräften, Undankbarkeit und Unfreundlichkeit gegenüber Spendern und einen wohl mehr als rauen Ton im Verhältnis zwischen Ehrenamtlern und dem Tafel-Personal. Die zurückgetretenen Beirats-Mitglieder haben das als „fragwürdige Führungsstruktur und Unternehmenskultur“ umschrieben. Wenn das Menschen mit bester gesellschaftlicher Reputation und ausgewiesenem Sachverstand sagen, die der Tafel als Unterstützer teils seit Jahrzehnten zur Seite stehen und sie dabei auch massiv finanziell unterstützt haben, dann gibt das auch den vielen negativen Social-Media-Post ein anderes Gewicht.

Dass sich die vom Beirat angeschossenen Kräfte aus der zweiten Führungsreihe der Tafel jetzt ebenfalls öffentlich wehren, ist nachvollziehbar. Sie führen an, dass bei der Organisation Menschen aus verschiedensten gesellschaftlichen Schichten mit verschiedensten Hintergründen miteinander ihre Arbeit verrichten und deshalb Spannungen unmöglich auszuschließen seien. Das hört sich für mich nicht unbedingt nach einer herzlichen Einladung ein, sich dort zu engagieren ...

Viel schlimmer als alles andere ist aber, was man im Tafel-Rechenschaftsbericht 2019 schwarz auf weiß nachlesen kann. Dort ist diplomatisch die Rede davon, dass die Betreuung der bis zu 50 als so genannte „AGH“-Kräfte dank öffentlicher Förderung bei der Tafel beschäftigten Mitarbeiter „suboptimal war und ist“. Ein Problem, das diese Woche vom Vorstand noch einmal bestätigt wurde. Genau wie die Tatsache, dass es inzwischen entsprechende Prüfungen des Jobcenters gab, dass logischerweise kontrolliert, ob an die Förderung geknüpfte Ausbildungs- und Betreuungsstandards eingehalten wurden. Ebenfalls in Rechenschaftsbericht nachzulesen sind die Summen, um die es hier gehen könnte: Für die Jahre 2018 und 2019 sind Zuschüsse in Größenordnungen von jeweils mehreren hunderttausend Euro verzeichnet. Jeder kann sich selbst ausrechnen, was es bedeuten würde, wenn es hier zu massiven Rückforderungen kommen sollte ...

Daher kann man durchaus nachvollziehen, dass der Beirat eine Neuaufstellung anstoßen wollte, mit der das wackelige Tafel-Konstrukt über die Gründung einer gGmbH mit unvorbelasteter neuer Gesamtleitung auf stabile Füße gestellt werden sollte. Dass die Tafel-Führung diese im sozialen Bereich absolut gängige Rechtsform, deren Erlöse ausschließlich gemeinnützigen Zwecken zufließen dürfen, mit Profitstreben in Verbindung bringt, muss man nicht verstehen. Und auch die Tatsache, dass Wolfgang Nielsen eine von ihm im Dezember unterzeichnete Erklärung wieder zurückgezogen hat, auf die Vorschläge des Beirats einzugehen und den Weg für eine neue, professionellen Tafel-Führung durch externe Kräfte freizumachen, wirft Fragen auf.

Die werden sich allerdings gar nicht mehr stellen, wenn der Verein tatsächlich von der eigenen Vergangenheit finanziell eingeholt werden sollte. Das wäre dann allerdings eine Katastrophe für viele tausend Wuppertaler, die - traurig genug - auf die Tafel angewiesen sind, um etwas zu essen oder anderweitige Hilfe zu bekommen. Drücken wir also die Daumen, dass noch einmal aus eigener Kraft Bewegung in die Sache kommt.

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