Bergische Uni Wuppertal „Zoos haben den Auftrag, die Gesellschaft zu bilden“

Wuppertal · Die Zoologin Dr. Gela Preisfeld von der Bergischen Uni im Interview über den Burgers‘ Zoo im niederländischen Arnheim, der vor 100 Jahren seine Pforten öffnete.

  Dr. Gela Preisfeld (Bergische Uni).

Dr. Gela Preisfeld (Bergische Uni).

Foto: Sebastian Jarych

Am 31. März 1913 machte Johan Burgers seine private Tiersammlung unter dem Namen Fasanerie Buitenlust in 's-Heerenberg in Gelderland zum ersten Mal dem Publikum zugänglich. 1923 eröffnete er unter dem Namen Burgers` Zoo in Arnheim seine Tore. Was halten Sie als Biologin von Zoologischen Gärten?

Preisfeld: „Das ist nicht leicht zu beantworten und man muss da differenzieren zwischen modernen Zoos, die das Tierwohl im Auge behalten und tiergerechte Lebensräume sowie auch die Lebensgemeinschaft in einem Biotop darstellen möchten und solchen, die meiner Meinung nach auch nicht Zoos heißen dürfen – obwohl der Begriff nicht geschützt ist –, in denen die Tiere nur als Attraktion gehalten werden. Das erste begrüße ich, das zweite lehne ich vollkommen ab.

Ich halte eine ganze Menge von Zoos und zwar als Bildungseinrichtung, denn sie haben einen Bildungsauftrag und dem kommen die meisten in sehr vielfältiger Weise nach. Ich zitiere da immer gerne Konrad Lorenz, der sagt: ,Man liebt nur, was man kennt, und man schützt nur, was man liebt.‘ Das bedeutet, dass man die Tiere erst einmal kennenlernen muss, um sie lieben und somit ihre Schutzbedürftigkeit erkennen zu können und dadurch wiederum Naturschutzgedanken entwickeln zu können.

Es hört sich weise und einfach an, diese Gedanken und die Bereitschaft, etwas zu tun, in der Gesellschaft zu entwickeln, ist aber oft sehr schwierig. Zoos nehmen den Auftrag an, die Gesellschaft zu bilden und erreichen damit sehr viele Menschen. Es gehen mehr Menschen in den Zoo, als in irgendwelche anderen Bildungseinrichtungen, und das ist extrem wichtig. Dort bekommen sie Informationen über die Herausforderungen und Möglichkeiten des Natur- und Artenschutzes.

Der Burgers‘ Zoo wirbt heute mit dem Slogan „Eine Weltreise an einem Tag“. Was macht ihn so besonders?

Preisfeld: „Ich war erst kürzlich wieder dort und bin, wie immer, begeistert. Das Besondere sind die Ökodisplays, (Ökodisplays sind dem natürlichen Lebensraum entsprechend gestaltete Lebensräume, in denen Tiere oft in großer Freiheit, teils inmitten von Tausenden Pflanzen, leben. Besucher können dieses Habitat aus nächster Nähe erleben. Anm. d. Red.) die es in dem Zoo gibt. Sie zeigen Tiere, Pflanzen, natürlich auch Pilze, Mikroorganismen usw. im Zusammenleben, der natürlichen Welt ein Stück nachempfunden.“

„Entdecken Sie die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum“, sagt der Zoo der Superlative. Ist es wirklich so, dass dieser Zoo den natürlichen Lebensraum von Tieren und Pflanzen perfekt nachbildet?

Preisfeld: „Perfekt geht vielleicht nicht, aber er bildet den Lebensraum und damit das Ökosystem so gut nach, wie es in einem limitierten Raum überhaupt möglich ist. Man muss wissen, dass diese Displays wirklich sehr groß sind. Ich besuche als Zoologin natürlich sehr gerne Zoos und ich finde, es ist im Burgers‘ Zoo sehr gut gelungen. Ich konnte sehen, dass es den Organismen dort sehr gut geht.

Das Schöne an diesen Lebensräumen ist, dass man nicht nur ein isoliertes Tier sehen, sondern es in seiner Lebensgemeinschaft erfahren kann. Viele Tiere leben dort in Freiheit, weil das Areal groß genug ist und Rückzugsmöglichkeiten gegeben sind. Es ist wirklich etwas Besonderes.“

Können Sie die Lebensräume einmal beschreiben?

Preisfeld: „Es gibt insgesamt sechs Ökodisplays und einen freien Raum, den man als Park bezeichnet. Das ist der Teil, der am ehesten anderen Zoos entspricht. Dort findet man viele Affen, Elefanten usw. Dieser Park ist nicht auf einen Lebensraum ausgelegt, hier möchte man die Tiere darstellen. Zu den Lebensräumen gehört zum Beispiel der Bereich Safari. Man findet dort Tiere und Pflanzen Ostafrikas, ein Bereich mit Löwen, Giraffen und Antilopen, die natürlich separiert sind, weil das zu gefährlich werden könnte.

Dann gibt es die Wüste. Ausgewählt sind hier Areale aus Nordamerika und Nordmexiko. Ganz toll finde ich den Busch, der ist gerade wieder restauriert und weiterentwickelt worden. Vögel, Fische, Kaimane, Erdferkel findet man dort im tropischen Regenwald, der dort auch in der Nacht simuliert wird. Dafür regnet es jede Nacht viele Stunden, daher ist die Luft sehr gesättigt mit Wasser und das merken sie als Besucher. Dort jagen auch die einen Tiere die anderen. Zum Beispiel jagen die Vögel die Schmetterlinge, Insekten und kleine Fische usw.

Dann gibt es das sogenannte Rimba, das sind die Waldgebiete Südostasiens. Dort haben sie Tiger, Pythons und Bären. Und meine Favoriten sind die Mangroven und der Bereich Ocean.“

Der Mangrovenwald zum Beispiel, in dem man auch Manatis bestaunen kann (die sogar in Gefangenschaft Nachwuchs bekommen haben), hat zudem auch ein Areal für Schmetterlinge. Das ist etwas Besonderes, oder?

Preisfeld: „Die Mangrovenregion geht in der Mangrove auch ein bisschen in den tropischen Regenwald und in den Trockenwald über. Was einen sofort in diese tropische Stimmung versetzt, sind die wunderschönen Schmetterlinge. Es gibt verschiedene Habitate zu entdecken. Im eher trockenen Bereich finden Sie die riesigen Blauen Morphos und die Bananenfalter, phantastische Tiere, die man übrigens im September auch wieder hier im Botanischen Garten in einer Schmetterlingsausstellung bestaunen kann.

Die Populationen sind dort sehr individuenreich. Wenn man aber große Populationen dauerhaft hat, dann hat man das Problem mit den Futterpflanzen. Die Schmetterlinge legen ihre Eier auf die Pflanzen, die Larven entwickeln sich und fressen natürlich die Pflanzen.

Wenn der Befraß aber zu groß wird, dann reagieren die Pflanzen und entwickeln Stoffe, um die Tiere abzuwehren. Sie stellen zumeist ihr Wachstum ein. Da hat der Burgers` Zoo eine gute Lösung gefunden. Sie stellen die Futterpflanzen in riesigen Kübeln hin und tauschen sie nach einer Zeit aus, entfernen den Kot der Tiere mit der oberen Erdschicht und geben den Pflanzen Zeit zu regenerieren.

In der Mangrove gibt es auch große Tiere: die Seekühe, die Manatis, meine ganz besonderen Favoriten, weil sie so anmutig durch das Wasser schwimmen und so friedlich lebende, ganz ruhige, sanfte Tiere sind, die mit unseren Elefanten verwandt sind. Das sieht man auch, wenn man es weiß. Sie haben die gleichen, kleinen Augen, die Haut ist ähnlich, sie haben Tasthaare im Gesicht, was bei im Wasser lebenden Säugetieren selten ist. Die Vorderbeine sind ja zu Flossen umgewandelt und man sieht am Rand noch die Reste der einstmaligen Zehen.

Die Knochen der Elefanten sind im Laufe der Evolution leicht geworden, damit der Körper das Gewicht tragen kann, bei den Seekühen ist es andersrum. Die Knochen sind schwerer geworden, damit sie besser absinken und am Meeresboden das Seegras fressen können. Auch die Winkerkrabben, die dort gezüchtet werden sowie die Schlammspringer möchte ich noch nennen, faszinierende kleine Tiere, die man dort entdecken kann.“

Eine weitere Attraktion ist Burgers’ Ocean, ein tropisches Korallenriff in einem acht Millionen Liter Wasser fassenden Aquarium. Wichtigster Bestandteil des Aquariums ist das lebende Korallenriff in einem 750.000-Liter-Becken. Es ist das größte lebende Korallenriff in Europa. Dabei kommt die Forschung nicht zu kurz. Das Wissen und Know-how für die Züchtung von Korallen könnten in Zukunft für den Schutz von Korallenriffen in der Natur von großer Bedeutung sein. Das ist mehr als die reine Zurschaustellung wilder Tiere, oder?

Preisfeld: „Hier geht es auch ganz viel um Forschung, biologische, veterinärmedizinische Forschung, aber auch um die Haltung der Tiere, zum Beispiel Fütterung. Was vertragen die Tiere, was brauchen sie? Das ist natürlich bei Korallenriffs besonders schwierig, denn wir wissen alle, wie sensibel Korallenriffs sind. Das gelingt denen in Arnheim unglaublich gut und ist in der Natur nicht schöner.

Dort werden die Wechselwirkungen untersucht. Was bedeuten Lichteinfall, Strömung und Wasserqualität, die wir immer mehr verschlechtern. Man erforscht dort Aspekte, die dann auch für die reale Welt von Bedeutung sind. Der Zoo arbeitet mit ganz vielen Unis und Forschungseinrichtungen zusammen.

Neben der Korallenzucht konnten dort auch Adlerrochen und Haie vermehrt, sowie sowohl Hart- als auch Weichkorallen gezüchtet werden. Es ist beeindruckend zu sehen und für die Forschung von großer Bedeutung.“

Auch die Zoos haben Tierschutz erst erlernen müssen. Konnte man im Safaripark der 60er Jahre noch mit dem Auto an den wilden Tieren vorbeifahren, kann man sie heute von Aussichtsplattformen und Brücken beobachten. Dafür hat der Tierschutz lange kämpfen müssen, oder?

Preisfeld: „Ja, der Tierschutz musste kämpfen. Aber es ist nicht nur der Tierschutz oder die Tierschützer, die das bewirkt haben. Auch in den Zoos selbst hat ein Umdenken stattgefunden. Es gibt einen europäischen, aber auch weltweiten Verband der Zoos, die sich selbst bestimmte Standards auferlegt haben. Auch denen ist klargeworden, dass das Tierwohl an erster Stelle stehen muss, auch wenn es einen Bildungsauftrag gibt, der an dieser Stelle jedoch nachgeordnet sein muss.

Viele Menschen fordern die Abschaffung von Zoos, weil man dort Tiere nicht artgerecht halten kann. Das stimmt, man kann sie nicht artgerecht halten, dennoch stimme ich den Forderungen, zumindest bei den wissenschaftlich geführten Zoos, ganz und gar nicht zu. Ich würde auch einen anderen Begriff verwenden. Artgerecht würde bedeuten, dass man die Tiere auch den ganz normalen Stressfaktoren, die draußen sind, aussetzt, wie Fressfeinde, schlechte klimatische Bedingungen, Waldbrände, Trockenheit, Hunger und Durst.

Das möchte man nicht, weil man es bewusst keinem Tier zumuten kann. Daher sollte man in Bezug auf Zoos lieber von tiergerecht sprechen. Und das kann man sehr gut umsetzen, wenn ein vernünftiges Konzept da ist. Wie bei diesen Ökodisplays, wo man ganze Ökosysteme naturnah darstellt und die Tiere in einigermaßen Freiheit leben. Wildfänge, wie man sie früher für Zoos frequentiert hat, waren besonders schlimm. Heute tauscht man zoogeborener Tiere aus und konzentriert sich auf weniger Tierarten, dafür mehr Lebensgemeinschaften mit naturnahen Bedingungen.“

Der Burgers‘ Zoo erstreckt sich über 45 Hektar Fläche, der Park ist nach wie vor ein Familienbetrieb. Er bietet Führungen, Lesungen, Unterricht und Praktika an, organisiert Ausstellungen, gibt alle zwei Monate ein Gratismagazin mit aktuellen Ereignissen und interessanten Hintergrundinformationen heraus und ist international vernetzt. Wie wichtig ist diese weltweite Zusammenarbeit?

Preisfeld: „Enorm wichtig, wenn wir darauf schauen, dass immer mehr Lebensräume wegfallen. Weil die Menschen so eingreifende Wesen sind, kommt dem Biotop und Naturschutz eine große Bedeutung zu. Das geht nur über Grenzen hinweg. Die ganzen wissenschaftlich geführten Zoos sind in Erhaltungs- und Zuchtprogrammen vernetzt. Man spezialisiert sich auf bestimmte Tiere.

In Wuppertal gibt es auch Zuchtprogramme, darunter eines für den Schneeleoparden oder Afrikanischen Elefanten. Damit es keine Inzuchten gibt, tauscht man sich über das sogenannte European Endangered Species Programm (EEP) aus. Da gibt es harte Vorschriften, die man erfüllen muss. Der Burgers‘ Zoo hat zum Beispiel 35 EEP-Arten und viele Arten, über die ein Zuchtbuch geführt wird.

Im Europäischen Zuchtbuchprogramm (ESB) sind die Auflagen weniger streng, sollte aber eine Art bedroht sein, kann sie sofort in ein EEP-Programm überführt werden. Tritt das ein, hat man so direkt einen Überblick über die genetische Vielfalt zur Erhaltung eines großen Genpools ex-situ, also außerhalb des natürlichen Lebensraumes.“

Können Zoos also zur Erhaltung von Arten beitragen, oder wird damit das Artensterben nur um ein paar Jahre aufgehalten?

Preisfeld: „Das Artensterben ist nur sehr schwer aufzuhalten, das muss man einfach sagen. Wirtschaftliche, politische Interessen oder menschliche Nöte spielen einfach eine zu große Rolle. Dennoch sollten wir nicht aufhören, Strategien zu entwickeln und es gibt auch positive Beispiele, wie man dem entgegenwirken kann. Eine Möglichkeit ist, wenn man Arten mit einem genügend großen Genpool hat, diese wieder auszuwildern.

Das ist sehr schwierig, es gab viele Fehlversuche, aber es gelingt immer häufiger, weil unser Wissen über die Tierarten, deren Zusammenleben und den Wechselwirkungen in den Habitaten gewachsen ist. Man kennt vielleicht die Przewalski-Pferde, die man ausgewildert hat, oder auch Nerze, Luchse oder die Wisente bei uns, die ja sogar schon ausgestorben waren und deren Bestand aus zwölf in Zoos lebenden Exemplaren wieder aufgebaut wurde. Heute sind wieder circa 3.000 Wisente in freier Wildbahn, auch hier bei uns in Deutschland.

Ein anderes Beispiel sind die Goldenen Löwenäffchen. Auch da gab es vor einiger Zeit nur noch 200 Stück weltweit. 1993 hat man die Erhaltungszucht angefangen. Heute gibt es wieder über 1.000. Die sind nun vom Status ,vom Aussterben bedroht‘ heruntergestuft worden auf .stark bedroht‘.“

Nordrhein-Westfalen hat auch einige Zoologische Gärten mit unterschiedlichen Konzepten und Schwerpunkten. Welchen Zoo würden Sie mal wieder gerne besuchen?

Preisfeld: „Ich gehe immer wieder gerne in unseren Grünen Zoo. Wir kooperieren ja auch, wir forschen gemeinsam an den afrikanischen Elefanten und betreuen gemeinsam eine Doktorarbeit. Wir arbeiten auch mit dem Zoo im Rahmen seines Bildungsauftrages zusammen. Es sind viele Bachelor- und Master-Thesen entstanden.

Ich schätze den Zoo sehr und ich schätze auch die Haltung des Zoodirektors, Dr. Arne Lawrenz sehr, was die Ausrichtung des Zoos angeht. Tierwohl und wissenschaftliche Forschung, die den Wildtieren zugutekommt, stehen bei ihm ganz oben.“

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