Planzahlen aus dem November 2015 bereits überholt Wuppertaler Schulrückbau wird gestoppt

Wuppertal · Anfang November hat der Rat den neuen Schulentwicklungsplan abgesegnet. Aber ist das Papier durch die steigende Zahl von Kindern aus Zuwandererfamilien nicht schon wieder schnell überholt? Wir haben beim Schul- und Sozialdezernenten Dr. Stefan Kühn (SPD) nachgefragt.

 Sozialdezernent Dr. Stephan Kühn.

Sozialdezernent Dr. Stephan Kühn.

Foto: Raina Seinsche

"Eine Momentaufnahme", sagt Kühn, sei der Plan gewesen — die Schullandschaft in Wuppertal stehe in einer neuen Phase von Bildungspolitik. Einem Paradigmenwechsel. Von "Land unter" sei man ebenso weit entfernt wie von "Business as usual", sagt der Dezernent. Jahrelang war Wuppertal eine schrumpfende Stadt — die Einwohnerzahl sank von 410.000 auf 345.000.Seit drei Jahren wächst Wuppertal wieder und erreichte die 355.000er-Marke. "Im Kern liegt das nicht nur an Flüchtlingen, sondern daran, dass viele Menschen aus der EU zu uns kommen, und am Nachzug von Familien", sagt Kühn. Rund die Hälfte der Zuwanderer sind aktuell Flüchtlinge. 7000 leben in der Stadt. Aus Europa sind in den letzten vier Jahren allein 10.000 Menschen nach Wuppertal gekommen.

Warum das wichtig für die Schullandschaft ist? "Ich möchte verhindern, dass mit Blick auf die Flüchtlinge die Herausforderung, vor der wir als Stadt stehen, als zu klein angenommen wird", sagt Kühn. Diese Herausforderung, Pläne für Schulen und Kitas zu entwickeln, gehe über das Thema Flüchtlinge hinaus. Im laufenden Schuljahr kamen laut Kühn 1200 neue Kinder in die Stadt, die kein Deutsch sprechen. Darin werden sie in rund 70 Klassen als Seiteneinsteiger von der Grund- bis zu den weiterführenden Schulen unterrichtet. Das betrifft Kinder, deren Eltern nach der Notunterkunft einer Kommune zugewiesen wurden — ab diesem Moment besteht Schulpflicht. Ab der Anmeldung einer Familie aus dem EU-Ausland ebenfalls.

"Vom Analphabeten bis zu Akademikerkindern ist eine unheimliche Bandbreite vertreten", berichtet Kühn. Das kommunale Integrationszentrum übernimmt die Einteilung der Kinder auf die Schulen. Organisiert wird es von der Stadt. In Wuppertal laufe das "vorbildlich", sagt Kühn, da alle weiterführenden Schulen eingebunden seien. Das Zentrum schaut, welche Kinder welchen Abschluss machen könnten, wenn sie einmal Deutsch gelernt haben.

Deshalb kommen auch Kinder aufs Gymnasium, um die anderen Schulformen nicht überproportional zu überlasten. Die faire Verteilung war die größte Sorge der Schulen —Rückmeldungen zeigen das. Wuppertal sei aber ein Sonderfall, sagt Kühn: "Wir haben mehr Seiteneinsteigerklassen an Gymnasien als an Gesamtschulen. Die Gymnasien haben sich in den letzten Jahren aktiv dieser Aufgabe gestellt", sagt Kühn.

Probleme bereitet die Verteilung innerhalb des Stadtgebiets. Zuwanderer seien überproportional in Vierteln mit geringen Mieten vertreten. Das liegt an der Höchstgrenze für Mieten (4,85 Euro pro Quadratmeter) bei den Zuwendungen für Mieten. Deshalb hätten Schulen in diesen Quartieren eigentlich höheren Zulauf. Das soll vermieden werden. Viele Schulen von außerhalb nehmen Kinder aus entfernteren Vierteln auf. Nachteil: Die Kinder müssen längere Wege zurücklegen. Vorteil: Sie kommen an ein leistungsstärkeres Umfeld, in dem man sich um einzelne Migrantenkinder intensiver kümmern kann.

Bei den Seiteneinsteigern wird zunächst Deutsch unterrichtet und versucht, die Kinder möglichst schnell auch in leicht verständliche Fächer zu integrieren — Beispiele sind Sport oder Kunst. Pro Klasse werden bis zu 18 Kinder unterrichtet. Durch eine stark gestiegene Zahl der U3-Kinder rechnet Kühn in der nächsten Zeit mit mindestens 300 zusätzlichen Erstklässlern pro Jahr. Es brauche also allein an den Grundschulen circa 40 neue Klassen für alle Jahrgänge — und damit Räume und Lehrpersonal. Hinzu kommt die politische Vorgabe vom Rat, für jedes zweite Kind einen offenen Ganztag anzubieten — plus die Inklusion von Kindern mit Behinderung.

Eine große Aufgabe. Der Markt für Lehrpersonal sei durch viele neu geschaffene Stellen zunehmend leergefegt. Behelfslösungen im Kollegium seien gefragt, sagt Kühn. "Aus meiner Sicht ist es eine beeindruckende Leistung, die an den Schulen erbracht wird. Es erfordert viel Improvisation, Flexibilität, Kreativität und Engagement", sagt der Schuldezernent.

Der zweite Knackpunkt sind die Räume. Während das Land für das lehrende Personal und die Inhalte zuständig ist, hat die Stadt die Aufgabe, Räume, Material, Hausmeister und das Sekretariat zu stellen. In Wuppertal steht das neuerdings unter einem neuen Stern. 20 Jahre lang musste aufgrund der schrumpfenden Bevölkerung Rückbau gestaltet werden. Diese Zeiten sind vorbei. "Wir haben quantitativen und qualitativen Bedarf an neuen Räumen und müssen erstmals wieder den Ausbau gestalten", sagt Kühn. Kämmerer Johannes Slawig (CDU) hat seine Unterstützung gegeben.

Konkrete Pläne gibt es aber noch nicht. Neubauten sind zu teuer. Deshalb sollen leerstehende Gebäude wie die ehemalige Hauptschule Langerfeld als "Orte der Bildung" nicht frei vermarktet werden, sondern zum Beispiel für Kitas oder Seiteneinsteigerklassen genutzt werden, lautet Kühns Vorschlag. Dadurch bliebe der Zugriff bei der Stadt. Ein ähnliches Beispiel ist die ehemalige Grundschule Uellendahl Am Röttgen, die vor Jahren aufgelöst wurde und in der aktuell Flüchtlinge untergebracht sind. Kommen sie woanders unter, stünde das Gebäude wieder für Lehrbetrieb zur Verfügung.

Außerdem will Kühn ein Angebot des Landes nutzen, das insgesamt 72 Millionen Euro für Quartierentwicklung zur Verfügung stellen will. An drei Schulen (Grundschulen Liegnitzer Straße und Thorner Straße sowie Hauptschule Hügelstraße) sollen mit Fördergeldern nicht benötigte Hausmeisterwohnungen in Klassenräume umgebaut werden. Kosten: rund eine Millionen Euro, 90 Prozent kämen vom Land. Der neu gewonnene Raum entlastet die gesamten Schulen. "Wir haben schon eine Menge getan — es gibt aber noch viel zu tun", lautet Kühns Fazit.

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