Rundschau-Kommentar Langer Atem, nicht weniger Luft
Wuppertal · Drei Bemerkungen vorweg. Erstens: Ich fahre keinen SUV, sondern einen koreanischen Kleinwagen, der nirgendwo besonders auffällt. Zweitens: Ich bin kein Museumsdirektor, dem man eines seiner „Hauptwerke“ mit Suppe, Sauce oder Püree beworfen hat. Drittens: Ich bin noch nie von auf der Straße festgeklebten Klima-Aktivisten an der Weiterfahrt gehindert worden.
Letzteres kann natürlich daran liegen, dass Wuppertal im globalen Vergleich so unbedeutend ist, dass niemand auf die Idee käme, bei uns eine solche „PR-Aktion“ an den Start zu bringen. Provinz zu sein, kann auch Vorteile haben.
Doch halt! Für die „Tyre Extinguishers“, die „Reifen-Löscher“, ist Wuppertal keine Provinz – und das Briller Viertel schon gar nicht. Die international und zugleich dezentral agierenden „Tyre Extinguishers“, zu denen es übrigens auch einen sehr informativen Wikipedia-Eintrag gibt, waren jetzt bereits zum zweiten Mal nächtlich am Brill unterwegs, um SUV-Reifen zu „entlüften“. Die Besitzer der Autos erfahren dann per Infozettel an der Windschutzscheibe, dass nach Auffassung der Klima-Aktivisten diese „Spritfresser tödlich“ seien. Und „die zweitgrößte Ursache für den weltweiten Anstieg der Kohlendioxidemissionen in den letzten zehn Jahren – mehr als die gesamte Luftfahrtindustrie“. Aha.
Ich hätte mir auf den Info-Blättern einen Hinweis darauf gewünscht, wer das mit den SUVs errechnet hat – und wer oder was denn die erstgrößte Ursache für den weltweiten Anstieg der Kohlendioxidemissionen ist. Die weltweite Massentierhaltung oder die Industrieabgase von USA, China, Russland, Indien? Oder beides? Und ob da demnächst in der Nacht auch irgendwo die Luft herausgelassen wird.
Aber sozusagen Scherz beiseite. Wenn’s ums Klima geht – und darum, was gegen dessen globale Erwärmung zu tun sei – ist die Stimmung angespannt und aufgeladen. Mir kommt es oft so vor, als verliefen dabei die Hauptargumentationsfronten, sehr vereinfacht gesagt, zwischen „etablierten“ Älteren und „engagierten“ Jüngeren.
Ja, man kann sehr darüber diskutieren, wozu jemand einen SUV (deren Verkaufszahlen beeindruckend sind) „braucht“. Aber auch darüber, wie ein wenigstens annähernd klimagerechtes Leben für jemanden mit magerem Einkommen (und eventuell mit Familie) in Würde darstellbar sein soll. Nur zwei Klima-Diskussionsthemen von vielen.
Aufsehen zu erregen gehört zum Finger-in-die-Wunde-Legen. Aufsehen zu erregen birgt aber auch immer die Gefahr, dass dadurch Gräben, die eh schon tief sind, noch tiefer werden. Womit dem gesamten Missstand, auf den aufmerksam gemacht werden soll, das erwiesen wird, was man einen „Bärendienst“ nennt.
Der Klimadebatte hilft das Herauslassen von Luft aus egal welchen Reifen nichts. Solche Guerilla-Aktionen (vergleichbar beim Klima-Kleben auf Straßen & Co. oder beim Verunstalten von Kunstwerken) führen nur zu Wut bei den Betroffenen. Wütende Menschen aber sind für vernünftige Diskussionen erfahrungsgemäß verloren. Schlecht, wenn das Problem, das im Raum steht, alle angeht.
Der Ärger über bestimmte Aktionsformen von Klima-Aktivisten darf allerdings nicht über eines hinwegtäuschen: Die Geschwindigkeit bei der Umsetzung von fürs Klima wichtigen Veränderungen lässt sehr zu wünschen übrig. So sehr, dass es zu nachvollziehbarer Frustration führen kann. In Wuppertal ist das beispielsweise beim Themenkomplex „ernstzunehmende Rad-Infrastruktur plus umfassendes ÖPNV-Angebot als echte Alternative zum Auto“ der Fall.
Was es braucht, um hier zu spürbaren Ergebnissen zu kommen, ist langer Atem. Nicht weniger Luft.